Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Unionsbürgerschaft. Aufenthaltsrecht eines Drittstaatsangehörigen, der Verwandter in aufsteigender Linie von minderjährigen Unionsbürgern ist. Voraussetzung ausreichender Existenzmittel. Existenzmittel, die aus Einkünften aus einer ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis verrichteten Arbeit stammen
Normenkette
Richtlinie 2004/38/EG Art. 7 Abs. 1 Buchst. b
Beteiligte
Secretary of State for the Home Department |
Tenor
Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ist dahin auszulegen, dass ein minderjähriger Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass er während seines Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen muss, selbst wenn diese Mittel aus den Einkünften stammen, die aus einer Beschäftigung bezogen werden, der sein Vater, der einem Drittstaat angehört und über keine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in diesem Mitgliedstaat verfügt, illegal nachgeht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Court of Appeal in Northern Ireland (Rechtsmittelgericht Nordirland, Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 15. Dezember 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Februar 2018, in dem Verfahren
Ermira Bajratari
gegen
Secretary of State for the Home Department,
Beteiligter:
Aire Centre,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Rosas, L. Bay Larsen und M. Safjan,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2019,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Frau Bajratari, vertreten durch R. Gillen, Solicitor, H. Wilson, BL, und R. Lavery, QC,
- des Aire Centre, vertreten durch C. Moynagh, Solicitor, R. Toal, BL, G. Mellon, BL, A. Danes, QC, und A. O'Neill, QC,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch F. Shibli und R. Fadoju als Bevollmächtigte im Beistand von D. Blundell, Barrister,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und A. Brabcová als Bevollmächtigte,
- der dänischen Regierung, vertreten durch J. Nymann-Lindegren, M. Wolff und P. Ngo als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, zunächst vertreten durch G. Hesse, dann durch J. Schmoll als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Montaguti und J. Tomkin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Juni 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, sowie Berichtigungen in ABl. 2004, L 229, S. 35, und ABl. 2007, L 204, S. 28).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Ermira Bajratari und dem Secretary of State for the Home Department (Innenministerium, Vereinigtes Königreich) über ihr Aufenthaltsrecht im Vereinigten Königreich.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 heißt es:
„… Personen, die ihr Aufenthaltsrecht ausüben, [sollten] während ihres ersten Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. Daher sollte das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen für eine Dauer von über drei Monaten bestimmten Bedingungen unterliegen.”
Rz. 4
Art. 2 „Begriffsbestimmungen”) der Richtlinie 2004/38 sieht vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
- ‚Unionsbürger’ jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt;
‚Familienangehöriger’
…
d) die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), denen von diesen Unterhalt gewährt wird;
- ‚Aufnahmemitgliedstaat’ den Mitgliedstaat, in den sich der Unionsbürger begibt, um dort sein Recht auf Freizügigkeit oder Au...