Entscheidungsstichwort (Thema)
Wettbewerb. Verordnung (EG) Nr. 1/2003. Art. 5. Missbrauch einer beherrschenden Stellung. Zuständigkeit der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten für die Feststellung, dass kein Verstoß gegen Art. 102 AEUV vorliegt
Beteiligte
Prezes Urzedu Ochrony Konkurencji i Konsumentów |
Tele2 Polska sp. z o.o., jetzt Netia SA |
Tenor
1. Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln ist dahin auszulegen, dass eine nationale Wettbewerbsbehörde, wenn sie im Hinblick auf die Anwendung von Art. 102 AEUV prüft, ob die Voraussetzungen für die Anwendung dieses Artikels gegeben sind, und dabei zu dem Ergebnis kommt, dass keine missbräuchliche Verhaltensweise vorgelegen hat, keine Entscheidung erlassen darf, mit der ein Verstoß gegen diesen Artikel verneint wird.
2. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 ist unmittelbar anwendbar und steht der Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, die dazu verpflichten würde, ein Verfahren bezüglich der Anwendung von Art. 102 AEUV durch eine Entscheidung zu beenden, mit der ein Verstoß gegen diesen Artikel verneint wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Sąd Najwyższy (Polen) mit Entscheidung vom 15. Juli 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 23. September 2009, in dem Verfahren
Prezes Urzędu Ochrony Konkurencji i Konsumentów
gegen
Tele2 Polska sp. z o.o., jetzt Netia SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J.-C. Bonichot und D. Šváby sowie der Richter A. Rosas, E. Juhász (Berichterstatter), J. Malenovský, E. Levits und A. Ó Caoimh,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz, K. Zawisza und M. Laszuk als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Castillo de la Torre und K. Mojzesowicz als Bevollmächtigte,
- der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch X. Lewis und M. Schneider als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Dezember 2010
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 der der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1, im Folgenden: Verordnung).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Prezes Urzędu Ochrony Konkurencji i Konsumentów (Präsident des Amts für Wettbewerbs- und Verbraucherschutz, im Folgenden: Prezes UOKiK) und der Tele2 Polska sp. z o.o., jetzt Netia SA, wegen einer vom Prezes UOKiK nach Art. 82 EG getroffenen Entscheidung.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Satz 1 des ersten Erwägungsgrundes der Verordnung sieht vor:
„Zur Schaffung eines Systems, das gewährleistet, dass der Wettbewerb im Gemeinsamen Markt nicht verfälscht wird, muss für eine wirksame und einheitliche Anwendung der Artikel 81 [EG] und 82 [EG] in der Gemeinschaft gesorgt werden.”
Rz. 4
Satz 1 des achten Erwägungsgrundes der Verordnung lautet:
„Um die wirksame Durchsetzung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft und das reibungslose Funktionieren der in dieser Verordnung enthaltenen Formen der Zusammenarbeit zu gewährleisten, müssen die Wettbewerbsbehörden und die Gerichte in den Mitgliedstaaten verpflichtet sein, auch die Artikel 81 [EG] und 82 [EG] anzuwenden, wenn sie innerstaatliches Wettbewerbsrecht auf Vereinbarungen und Verhaltensweisen, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen können, anwenden.”
Rz. 5
Der 14. Erwägungsgrund der Verordnung lautet:
„In Ausnahmefällen, wenn es das öffentliche Interesse der Gemeinschaft gebietet, kann es auch zweckmäßig sein, dass die Kommission eine Entscheidung deklaratorischer Art erlässt, mit der die Nichtanwendung des in Artikel 81 [EG] oder Artikel 82 [EG] verankerten Verbots festgestellt wird, um die Rechtslage zu klären und eine einheitliche Rechtsanwendung in der Gemeinschaft sicherzustellen; dies gilt insbesondere in Bezug auf neue Formen von Vereinbarungen oder Verhaltensweisen, deren Beurteilung durch die bisherige Rechtsprechung und Verwaltungspraxis noch nicht geklärt ist.”
Rz. 6
Art. 3 Abs. 1 der Verordnung bestimmt:
„Wenden die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten oder einzelstaatliche Gerichte das einzelstaatliche Wettbewerbsrecht auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne des Artikels 81 Absatz 1 [EG] an, welche den Handel zwischen Mitgli...