Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Staatliche Beihilfen. (Gruppenfreistellungsverordnung). Beihilfen, die einen Anreizeffekt haben. Begriff ‚Beginn des Vorhabens’. Befugnisse der nationalen Behörden. Rechtswidrige Beihilfe. Fehlen eines Beschlusses der Europäischen Kommission oder einer Entscheidung eines nationalen Gerichts. Verpflichtung der nationalen Behörden, eine rechtswidrige Beihilfe aus eigener Initiative zurückzufordern. Rechtsgrundlage. Allgemeiner unionsrechtlicher Grundsatz des Vertrauensschutzes. Entscheidung der zuständigen nationalen Behörde, mit der eine Beihilfe gemäß der Verordnung Nr. 800/2008 gewährt wird. Kenntnis von Umständen, die die Förderfähigkeit des Beihilfeantrags ausschließen. Begründung eines berechtigten Vertrauens. Fehlen. Verjährung. Aus einem Strukturfonds kofinanzierte Beihilfen. Anwendbare Vorschriften. Nationale Regelung. Zinsen. Verpflichtung, Zinsen zu verlangen. Effektivitätsgrundsatz

 

Normenkette

EGV Nr. 800/2008 Art. 8 Abs. 2; AEUV Art. 108 Abs. 3; Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95; Verordnung Nr. 800/2008; AEUV Art. 108 Abs. 3

 

Beteiligte

Eesti Pagar

Eesti Pagar AS

Ettevõtluse Arendamise Sihtasutus

Majandus- ja Kommunikatsiooniministeerium

 

Tenor

1. Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 800/2008 der Kommission vom 6. August 2008 zur Erklärung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt in Anwendung der Artikel [107 und 108 AEUV] (allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung) ist dahin auszulegen, dass mit der „[Durchführung] des Vorhabens oder der Tätigkeit” im Sinne dieser Bestimmung begonnen wurde, wenn vor der Stellung des Beihilfeantrags durch das Eingehen einer bedingungslosen und rechtsverbindlichen Verpflichtung eine erste Bestellung von Anlagen, die für dieses Vorhaben oder für diese Tätigkeit bestimmt sind, aufgegeben wurde, egal wie hoch die eventuellen Kosten für den Rücktritt von dieser Verpflichtung sind.

2. Art. 108 Abs. 3 AEUV ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung von der nationalen Stelle verlangt, aus eigener Initiative eine Beihilfe zurückzufordern, die sie nach der Verordnung Nr. 800/2008 gewährt hat, wenn sie in der Folge feststellt, dass die in dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen nicht erfüllt waren.

3. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass eine nationale Stelle, wenn sie eine Beihilfe unter fehlerhafter Anwendung der Verordnung Nr. 800/2008 gewährt, kein berechtigtes Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der betreffenden Beihilfe zugunsten ihres Empfängers begründen kann.

4. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass, wenn eine nationale Stelle unter fehlerhafter Anwendung der Verordnung Nr. 800/2008 eine Beihilfe aus einem Strukturfonds gewährt hat, die auf die Rückforderung der rechtswidrigen Beihilfe anwendbare Verjährungsfrist gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vier Jahre beträgt, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Verordnung erfüllt sind, oder, wenn dies nicht der Fall ist, die im anwendbaren nationalen Recht vorgesehene Frist gilt.

5. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Stelle, wenn sie eine von ihr zu Unrecht nach der Verordnung Nr. 800/2008 gewährte Beihilfe aus eigener Initiative zurückfordert, obliegt, vom Empfänger dieser Beihilfe Zinsen gemäß den Vorschriften des anwendbaren nationalen Rechts zu verlangen. Hierbei verlangt Art. 108 Abs. 3 AEUV, dass diese Vorschriften es erlauben, eine vollständige Rückforderung der rechtswidrigen Beihilfe sicherzustellen, und dass dem Beihilfeempfänger somit u. a. aufgegeben wird, für den gesamten Zeitraum, in dem er in den Genuss der Beihilfe gekommen ist, Zinsen in Höhe eines Zinssatzes zu zahlen, der genauso hoch ist wie der, der angewandt worden wäre, wenn er den Betrag der in Rede stehenden Beihilfe während dieses Zeitraums auf dem Markt hätte leihen müssen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tallinna Ringkonnakohus (Bezirksgericht Tallinn, Estland) mit Entscheidung vom 18. Mai 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Juni 2017, in dem Verfahren

Eesti Pagar AS

gegen

Ettevõtluse Arendamise Sihtasutus,

Majandus- ja Kommunikatsiooniministeerium

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter), M. Vilaras und E. Regan, der Kammerpräsidentin C. Toader sowie der Richter E. Juhász, M. Ilešič, J. Malenovský, L. Bay Larsen, D. Šváby und C. G. Fernlund,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Eesti Pagar AS, vertreten durch R. Paatsi und T. Biesinger, vandeadvokaadid,
  • der Ettevõtluse Arendamise Sihtasutus, vertreten durch K. Jakobson-Lott,
  • der estnischen Reg...

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