Entscheidungsstichwort (Thema)
Freier Kapitalverkehr, Dividendenbesteuerung, Ausschüttung an Muttergesellschaft auf den niederländischen Antillen
Leitsatz (amtlich)
Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es einer steuerlichen Maßnahme eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die den Kapitalverkehr zwischen diesem Mitgliedstaat und seinem eigenen überseeischen Land oder Hoheitsgebiet im Rahmen einer wirksamen und verhältnismäßigen Verfolgung des Ziels der Bekämpfung der Steuerumgehung beschränkt.
Normenkette
AEUV
Beteiligte
Staatssecretaris van Financien |
Verfahrensgang
Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) (Urteil vom 23.12.2011; ABl. EU 2012, Nr. C 98/15) |
Tatbestand
„Freier Kapitalverkehr ‐ Beschränkungen ‐ Ausschüttung von Dividenden aus einem Mitgliedstaat nach einem seiner überseeischen Gebiete ‐ Räumlicher Geltungsbereich des Unionsrechts ‐ Sonderregelung EU-ÜLG“
In den verbundenen Rechtssachen C-24/12 und C-27/12
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidungen vom 23. Dezember 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 18. bzw. 19. Januar 2012, in den Verfahren
X BV (C-24/12),
TBG Limited (C-27/12)
gegen
Staatssecretaris van Financiën
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič sowie der Richter C. G. Fernlund (Berichterstatter) und A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader sowie des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. Oktober 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der TBG Limited, vertreten durch B. J. Rubbens, advocaat,
‐ der niederländischen Regierung, vertreten durch B. Koopman und C. Wissels als Bevollmächtigte,
‐ der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L. Christie als Bevollmächtigten im Beistand von S. Ford, Barrister,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Mölls und W. Roels als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Januar 2014
folgendes
Urteil
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Frage, ob die Bestimmungen des Unionsrechts im Bereich des freien Kapitalverkehrs wie Art. 56 EG dahin auszulegen sind, dass sie einer Maßnahme eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die geeignet ist, den Kapitalverkehr zwischen diesem Mitgliedstaat und den zu ihm gehörenden überseeischen Ländern und Gebieten (ÜLG) (im Folgenden: eigene ÜLG) zu behindern.
Rz. 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten zwischen der X BV bzw. der TBG Limited und dem Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär der Finanzen) wegen einer Steuer, die in den Niederlanden auf Dividenden erhoben wird, die von Unternehmen mit Sitz in den Niederlanden an ihre Muttergesellschaften mit Sitz auf den Niederländischen Antillen ausgeschüttet werden, während eine solche Ausschüttung von Dividenden an eine Gesellschaft mit Sitz in den Niederlanden oder einem anderen Mitgliedstaat von der Steuer befreit ist.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Niederländischen Antillen sind in dem mit „Überseeische Länder und Hoheitsgebiete, auf welche der Vierte Teil des Vertrags Anwendung findet“ überschriebenen Verzeichnis in Anhang II des EG-Vertrags aufgeführt.
Rz. 4
Der Vierte Teil („Überseeische Länder und Hoheitsgebiete, auf welche der Vierte Teil des Vertrags Anwendung findet“) des EG-Vertrags umfasst die Art. 182 EG bis 188 EG.
Rz. 5
Art. 187 EG sieht vor:
„Der Rat legt aufgrund der im Rahmen der Assoziierung der [ÜLG] an die Gemeinschaft erzielten Ergebnisse und der Grundsätze dieses Vertrags die Bestimmungen über die Einzelheiten und das Verfahren für die Assoziierung der [ÜLG] an die Gemeinschaft einstimmig fest.“
Rz. 6
Gemäß Art. 187 EG hat der Rat wiederholt genaue Vorschriften zur Konkretisierung des besonderen Systems der Assoziierung der ÜLG an die Gemeinschaft und zur Erreichung der Ziele der Assoziierung erlassen.
Rz. 7
Zur für die Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit war die anwendbare Regelung der Beschluss 2001/822/EG des Rates vom 27. November 2001 über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete mit der Europäischen Gemeinschaft (Übersee-Assoziationsbeschluss) (ABl. L 314, S. 1, im Folgenden: ÜLG-Beschluss).
Rz. 8
Der sechste Erwägungsgrund des ÜLG-Beschlusses lautet:
„Die ÜLG sind zwar keine Drittländer, aber auch nicht Teil des Binnenmarktes und müssen auf der Ebene des Handels den für die Drittländer festgelegten Verpflichtungen nachkommen, vor allem hinsichtlich der Ursprungsregeln, der Einhaltung der gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Normen und der Schutzmaßnahmen.“
Rz. 9
Der 16. Erwägungsgrund dieses Beschlusses lautet:
„Die allgemeinen Bestimmungen des Vertrags und die daraus abgeleiteten Rechtsvorschriften gelten nicht ohne weiteres für die ÜLG, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. In die Gemeinschaft eingeführte ...