Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatz des Schadens, der durch ein nach diesem Artikel verbotenes Kartell verursacht wurde. Schaden, der sich aus dem höheren Preis ergibt, der von einem Unternehmen als Folge eines verbotenen Kartells, an dem es nicht beteiligt ist, verlangt wird (‚umbrella pricing’). Kausalzusammenhang
Normenkette
AEUV Art. 101
Beteiligte
Schindler Aufzüge und Fahrtreppen GmbH |
Schindler Liegenschaftsverwaltung GmbH |
ThyssenKrupp Aufzüge GmbH |
Tenor
Art. 101 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Auslegung und Anwendung des innerstaatlichen Rechts eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach es aus Rechtsgründen kategorisch ausgeschlossen ist, dass die an einem Kartell beteiligten Unternehmen zivilrechtlich für Schäden haften, die daraus resultieren, dass ein an diesem Kartell nicht beteiligtes Unternehmen in Anbetracht der Machenschaften des Kartells seine Preise höher festgesetzt hat, als es dies ohne das Kartell getan hätte.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 17. Oktober 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Dezember 2012, in dem Verfahren
Kone AG,
Otis GmbH,
Schindler Aufzüge und Fahrtreppen GmbH,
Schindler Liegenschaftsverwaltung GmbH,
ThyssenKrupp Aufzüge GmbH
gegen
ÖBB-Infrastruktur AG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter E. Juhász, A. Rosas (Berichterstatter), D. Šváby und C. Vajda,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Dezember 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Kone AG, vertreten durch Rechtsanwalt H. Wollmann,
- der Otis GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte D. Hauck und E. Hold,
- der Schindler Aufzüge und Fahrtreppen GmbH und der Schindler Liegenschaftsverwaltung GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte A. Traugott und S. Riegler,
- der ThyssenKrupp Aufzüge GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte A. Reidlinger, T. Kustor und E. Rittenauer,
- der ÖBB-Infrastruktur AG, vertreten durch Rechtsanwalt A. Egger,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Meessen und P. Van Nuffel als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 30. Januar 2014
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 AEUV.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Kone AG (im Folgenden: Kone), der Otis GmbH (im Folgenden: Otis), der Schindler Aufzüge und Fahrtreppen GmbH (im Folgenden: Schindler Aufzüge und Fahrtreppen), der Schindler Liegenschaftsverwaltung GmbH (im Folgenden: Schindler Liegenschaftsverwaltung) und der ThyssenKrupp Aufzüge GmbH (im Folgenden: ThyssenKrupp Aufzüge) – Unternehmen, die sich an Kartellen beim Einbau und bei der Wartung von Aufzügen und Fahrtreppen in mehreren Mitgliedstaaten beteiligt haben – einerseits und der ÖBB-Infrastruktur AG (im Folgenden: ÖBB-Infrastruktur), einer Tochtergesellschaft der Österreichischen Bundesbahnen, andererseits wegen der Möglichkeit, Ersatz des Schadens zu verlangen, der dadurch entstanden sein soll, dass beim Abschluss von Verträgen mit an diesen Kartellen nicht beteiligten Unternehmen höhere Preise gegolten hätten.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
§ 1295 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (im Folgenden: ABGB) lautet:
„Jedermann ist berechtigt, von dem Beschädiger den Ersatz des Schadens, welchen dieser ihm aus Verschulden zugefügt hat, zu fordern; der Schade mag durch Übertretung einer Vertragspflicht oder ohne Beziehung auf einen Vertrag verursacht worden sein.”
Rz. 4
Nach § 1311 Satz 2 ABGB haftet derjenige, der „ein Gesetz, das den zufälligen Beschädigungen vorzubeugen sucht [(‚Schutzgesetz’)], übertreten” hat, für den verursachten Schaden.
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
Rz. 5
Zumindest seit den 80er Jahren führten Kone, Otis, Schindler Aufzüge und Fahrtreppen, Schindler Liegenschaftsverwaltung und ThyssenKrupp Aufzüge in großem Umfang ein Übereinkommen in mehreren Mitgliedstaaten durch, um den Aufzugs- und Fahrtreppenmarkt unter sich aufzuteilen.
Rz. 6
Am 21. Februar 2007 verhängte die Europäische Kommission gegen Kone, Otis, Schindler Aufzüge und Fahrtreppen sowie Schindler Liegenschaftsverwaltung eine Geldbuße von insgesamt 992 Mio. Euro wegen ihrer Teilnahme an Kartellen beim Einbau und bei der Wartung von Aufzügen und Fahrtreppen in Belgien, Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden.
Rz. 7
Der Oberste Gerichtshof bestätigte als Kartellobergericht am 8. Oktober 2008 den Beschluss des Kartellgerichts vom 14. Dezember 2007, mit dem Geldbußen gegen Kone, Otis und Schindler Auf...