Entscheidungsstichwort (Thema)
Freier Dienstleistungsverkehr. Öffentlicher Nahverkehrsdienst. Vergabe ohne Ausschreibung. Vergabe durch eine öffentliche Körperschaft an ein Unternehmen, dessen Kapital sie hält
Beteiligte
Associazione Nazionale Autotrasporto Viaggiatori (ANAV) |
Tenor
Die Artikel 43 EG, 49 EG und 86 EG sowie der Grundsatz der Gleichbehandlung, das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und der Grundsatz der Transparenz stehen einer nationalen Regelung nicht entgegen, die es einer öffentlichen Körperschaft erlaubt, eine öffentliche Dienstleistung freihändig an eine Gesellschaft zu vergeben, deren Kapital sie vollständig hält, sofern die öffentliche Körperschaft über diese Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und die Gesellschaft ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Körperschaft verrichtet, die ihre Anteile innehat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per la Puglia (Italien) mit Entscheidung vom 22. Juli 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 27. September 2004, in dem Verfahren
Associazione Nazionale Autotrasporto Viaggiatori (ANAV)
gegen
Comune di Bari,
AMTAB Servizio SpA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter), K. Lenaerts, M. Ilešič und E. Levits,
Generalanwalt: L. A. Geelhoed,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Oktober 2005,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Associazione Nazionale Autotrasporto Viaggiatori (ANAV), vertreten durch C. Colapinto, avvocato,
- der Comune di Bari, vertreten durch R. Verna, B. Capruzzi und R. Cioffi, avvocati,
- der AMTAB Servizio SpA, vertreten durch G. Notarnicola und V. Caputi Jambrenghi, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. Fiengo, avvocato dello Stato,
- der deutschen Regierung, vertreten durch C. Schulze-Bahr als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,
- der polnischen Regierung, vertreten durch T. Nowakowski als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch X. Lewis und D. Recchia als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Januar 2006
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 43 EG, 49 EG und 86 EG.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Associazione Nazionale Autotrasporto Viaggiatori (im Folgenden: ANAV) gegen die Comune di Bari (Gemeinde Bari) und die AMTAB Servizio SpA (im Folgenden: AMTAB Servizio) über die Vergabe des öffentlichen Verkehrsdienstes im Gebiet dieser Gemeinde an die AMTAB Servizio.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Artikel 43 EG bestimmt:
„Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. …
Vorbehaltlich des Kapitels über den Kapitalverkehr umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen.”
4 Artikel 46 EG lautet:
„(1) Dieses Kapitel und die aufgrund desselben getroffenen Maßnahmen beeinträchtigen nicht die Anwendbarkeit der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die eine Sonderregelung für Ausländer vorsehen und aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind.
(2) Der Rat erlässt gemäß dem Verfahren des Artikels 251 Richtlinien für die Koordinierung der genannten Vorschriften.”
5 Artikel 49 Absatz 1 EG sieht vor:
„Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten.”
6 Artikel 86 Absatz 1 EG lautet:
„Die Mitgliedstaaten werden in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine diesem Vertrag und insbesondere dessen Artikeln 12 und 81 bis 89 widersprechende Maßnahmen treffen oder beibehalten.”
Nationales Recht
7 Was die italienischen Rechtsvorschriften betrifft, so hat Artikel 14 des Decreto legge Nr. 269 vom 30. September 2003 mit Eilbestimmungen zur Entwicklungsförderung und zur Funktionsverbesserung der öffentlichen Haushalte (GURI Nr. 229 vom 2. Oktober 2003, supplemento ordinario, im Folgenden: Decreto legge Nr. 269/2003) Artikel 113 des Decreto legislativo Nr. 267 vom 18. Aug...