Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegzugsbesteuerung, nicht realisierte Wertzuwächse der betroffenen Vermögenswerte als Besteuerungsgrundlage
Leitsatz (amtlich)
1. Die Portugiesische Republik hat dadurch gegen ihre Pflichten aus Art. 49 AEUV verstoßen, dass sie die Art. 76 A und 76 B des Código português do Imposto sobre o Rendimento das Pessoas Colectivas (portugiesisches Körperschaftsteuergesetz) erlassen und beibehalten hat, die im Fall der Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes und der tatsächlichen Leitung einer portugiesischen Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat oder im Fall der durch eine nicht in Portugal ansässige Gesellschaft vorgenommenen Überführung eines Teils oder der Gesamtheit der einer portugiesischen festen Niederlassung zugeordneten Vermögenswerte aus Portugal in einen anderen Mitgliedstaat anwendbar sind und vorsehen, dass die Besteuerungsgrundlage des Geschäftsjahrs, in dem der Steuertatbestand eintritt, sämtliche nicht realisierten Wertzuwächse der betroffenen Vermögenswerte einschließt, jedoch nicht die nicht realisierten Wertzuwächse, die sich aus ausschließlich nationalen Transaktionen ergeben.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Portugiesische Republik trägt die Kosten.
Normenkette
AEUV Art. 49
Beteiligte
Tatbestand
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats ‐ Art. 49 AEUV ‐ Steuerrecht ‐ Verlegung des steuerlichen Sitzes ‐ Überführung von Vermögenswerten ‐ Unmittelbare Wegzugsteuer“
In der Rechtssache C-38/10
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 22. Januar 2010,
Europäische Kommission, vertreten durch R. Lyal, G. Braga da Cruz und P. Guerra e Andrade als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Portugiesische Republik, vertreten durch L. Fernandes und J. Menezes Leitão als Bevollmächtigte,
Beklagte,
unterstützt durch
Königreich Dänemark, vertreten durch C. Vang als Bevollmächtigten,
Bundesrepublik Deutschland,vertreten durch C. Blaschke und K. Petersen als Bevollmächtigte,
Königreich Spanien, vertreten durch M. Muñoz Pérez und A. Rubio González als Bevollmächtigte,
Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues und N. Rouam als Bevollmächtigte,
Königreich der Niederlande,vertreten durch C. Wissels und M. de Ree als Bevollmächtigte,
Republik Finnland, vertreten durch J. Heliskoski als Bevollmächtigten,
Königreich Schweden, vertreten durch A. Falk und S. Johannesson als Bevollmächtigte,
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch S. Hathaway und A. Robinson als Bevollmächtigte,
Streithelfer,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richter K. Schiemann (Berichterstatter) und L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. April 2012,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Juni 2012
folgendes
Urteil
Rz. 1
Mit ihrer Klageschrift beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Pflichten aus Art. 49 AEUV und Art. 31 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) verstoßen hat, dass sie die Art. 76 A, 76 B und 76 C des Código português do Imposto sobre o Rendimento das Pessoas Colectivas (portugiesisches Körperschaftsteuergesetzbuch, im Folgenden: CIRC) erlassen und beibehalten hat, die im Fall der Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes und der tatsächlichen Leitung einer portugiesischen Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat oder im Fall der Einstellung der Tätigkeiten einer festen Niederlassung in Portugal oder der Überführung ihrer Vermögenswerte aus Portugal in einen anderen Mitgliedstaat anwendbar sind und vorsehen,
‐ dass die Besteuerungsgrundlage des Geschäftsjahrs, in dem der Steuertatbestand eintritt, sämtliche nicht realisierten Wertzuwächse der betroffenen Vermögenswerte einschließt, jedoch nicht die nicht realisierten Wertzuwächse, die sich aus ausschließlich nationalen Transaktionen ergeben;
‐ dass die Anteilseigner einer Gesellschaft, die ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre tatsächliche Leitung aus dem portugiesischen Hoheitsgebiet wegverlegt, einer Steuer unterliegen, deren Grundlage die Differenz zwischen dem Nettovermögenswert der Gesellschaft (berechnet zum Tag der Verlegung und zum Marktpreis) und dem Kaufpreis der entsprechenden Gesellschaftsanteile ist.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 2
Mit dem Decreto Lei Nr. 159/2009 vom 13. Juli 2009 (Diário da República I, Serie A, Nr. 133 vom 13. Juli 2009) wurden u. a. die im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits einschlägigen Artikel des CIRC umnummeriert. Es ist ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage zu überprüfen ist, in der sich der Mitgliedstaa...