Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Öffentliche Auftragsvergabe. Vorbehaltene Aufträge. Nationale Rechtsvorschriften, die das Recht zur Teilnahme an bestimmten Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge besonderen Beschäftigungszentren in sozialer Trägerschaft vorbehalten. Zusätzliche, nicht in der Richtlinie vorgesehene Voraussetzungen. Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit
Normenkette
Richtlinie 2014/24/EU Art. 20
Beteiligte
Confederación Nacional de Centros Especiales de Empleo (Conacee) |
Diputación Foral de Gipuzkoa |
Tenor
Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat vorbehaltlich der Wahrung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit durch diesen Mitgliedstaat nicht verwehrt, über die in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen hinaus zusätzliche Voraussetzungen zu verlangen und damit bestimmte Wirtschaftsteilnehmer, die die Voraussetzungen dieser Bestimmung erfüllen, von den Verfahren zur Vergabe vorbehaltener öffentlicher Aufträge auszuschließen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Superior de Justicia del País Vasco (Obergericht des Baskenlands, Spanien) mit Entscheidung vom 17. Juli 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 6. August 2019, in dem Verfahren
Confederación Nacional de Centros Especiales de Empleo (Conacee)
gegen
Diputación Foral de Gipuzkoa
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter M. Ilešič, E. Juhász, C. Lycourgos (Berichterstatter) und I. Jarukaitis,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Confederación Nacional de Centros Especiales de Empleo (Conacee), vertreten durch F. Toll Musteros, procurador, im Beistand von L. García Del Río und A. Larrañaga Ysasi-Ysasmendi, abogados,
- der Diputación Foral de Gipuzkoa, vertreten durch B. Urizar Arancibia, procuradora, und I. Arrue Espinosa, abogado,
- der spanischen Regierung, vertreten durch J. Rodríguez de la Rúa Puig als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Jáuregui Gómez, L. Haasbeek und P. Ondrůšek als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. April 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 20 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65).
Rz. 2
Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Confederación Nacional de Centros Especiales de Empleo (Conacee) (Nationale Vereinigung der besonderen Beschäftigungszentren, Spanien) und der Diputación Foral de Gipuzkoa (Provinzregierung von Gipuzkoa, Spanien) wegen des Beschlusses der Provinzregierung vom 15. Mai 2018 über den Erlass von Anweisungen für die Vergabestellen dieses Organs bezüglich bestimmter vorbehaltener Aufträge.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2004/18/EG
Rz. 3
Die Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114) wurde mit Wirkung zum 18. April 2016 aufgehoben. Art. 19 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmte:
„Die Mitgliedstaaten können im Rahmen von Programmen für geschützte Beschäftigungsverhältnisse vorsehen, dass nur geschützte Werkstätten an den Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge teilnehmen oder solche Aufträge ausführen dürfen, sofern die Mehrheit der Arbeitnehmer Behinderte sind, die aufgrund der Art oder der Schwere ihrer Behinderung keine Berufstätigkeit unter normalen Bedingungen ausüben können.”
Richtlinie 2014/24
Rz. 4
Die Erwägungsgründe 1 und 36 der Richtlinie 2014/24 lauten:
„(1) Die Vergabe öffentlicher Aufträge durch oder im Namen von Behörden der Mitgliedstaaten hat im Einklang mit den im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) niedergelegten Grundsätzen zu erfolgen, insbesondere den Grundsätzen des freien Warenverkehrs, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit sowie den sich daraus ableitenden Grundsätzen wie Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, gegenseitige Anerkennung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz. Für über einen bestimmten Wert hinausgehende öffentliche Aufträge sollten Vorschriften zur Koordinierung der nationalen Vergabeverfahren festgelegt werden, um zu gewährleisten, dass diese Grundsätze praktische Geltung erlangen und dass das öffentliche Auftragswesen für den Wettbewerb geöffnet wird.
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(36) Beschäftigung und Beruf tragen zur Integration in die Gesellschaft b...