Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgabe mit Umsatzsteuercharakter, Örtliche Verkaufsteuer, Estland
Leitsatz (amtlich)
Art. 401 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er der Beibehaltung oder Einführung einer Steuer wie der im Ausgangsverfahren fraglichen Verkaufsteuer nicht entgegensteht.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 401
Beteiligte
Verfahrensgang
Riigikohus (Estland) (Beschluss vom 01.08.2017; ABl. EU 2017, Nr. C 347/16) |
Tatbestand
Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Steuerrecht ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 401 ‐ Nationale Steuern, die den Charakter von Umsatzsteuern haben ‐ Verbot Begriff Umsatzsteuer Örtliche Verkaufsteuer ‐ Wesentliche Merkmale der Mehrwertsteuer ‐ Fehlen
In der Rechtssache C-475/17
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Riigikohus (Oberstes Gericht, Estland) mit Entscheidung vom 1. August 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 8. August 2017, in dem Verfahren
Viking Motors AS,
TKM Beauty Eesti OÜ,
TKM King AS,
Kaubamaja AS,
Selver AS
gegen
Tallinna linn,
Maksu- ja Tolliamet
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Viking Motors AS, der TKM Beauty Eesti OÜ, der TKM King AS, der Kaubamaja AS und der Selver AS, vertreten durch E. Talur und L. Naaber-Kivisoo, vandeadvokaadid,
‐ der Tallinna linn, vertreten durch T. Pikamäe, vandeadvokaat,
‐ der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaite und K. Toomus als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 401 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Viking Motors AS, der TKM Beauty Eesti OÜ, der TKM King AS, der Kaubamaja AS und der Selver AS auf der einen sowie der Tallinna linn (Stadt Tallinn, Estland) und dem Maksu- ja Tolliamet (Steuer- und Zollamt, Estland) (im Folgenden: Finanzverwaltung) auf der anderen Seite wegen der Erstattung der von diesen Gesellschaften entrichteten Verkaufsteuer.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Sechste Richtlinie
Rz. 3
Art. 33 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 (ABl. 1991, L 376, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie) bestimmt:
„Unbeschadet anderer Gemeinschaftsbestimmungen, insbesondere der geltenden Gemeinschaftsbestimmungen über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle von verbrauchsteuerpflichtigen Waren, hindern die Bestimmungen dieser Richtlinie einen Mitgliedstaat nicht daran, Abgaben auf Versicherungsverträge, Abgaben auf Spiele und Wetten, Verbrauchsteuern, Grunderwerbsteuern sowie ganz allgemein alle Steuern, Abgaben und Gebühren, die nicht den Charakter von Umsatzsteuern haben, beizubehalten oder einzuführen, sofern diese Steuern, Abgaben und Gebühren im Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht mit Formalitäten beim Grenzübergang verbunden sind.“
Mehrwertsteuerrichtlinie
Rz. 4
Die Erwägungsgründe 4 und 7 der Mehrwertsteuerrichtlinie lauten:
„(4) Voraussetzung für die Verwirklichung des Ziels, einen Binnenmarkt zu schaffen[,] ist, dass in den Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern angewandt werden, durch die die Wettbewerbsbedingungen nicht verfälscht und der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr nicht behindert werden. Es ist daher erforderlich, eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern im Wege eines Mehrwertsteuersystems vorzunehmen, um so weit wie möglich die Faktoren auszuschalten, die geeignet sind, die Wettbewerbsbedingungen sowohl auf nationaler Ebene als auch auf Gemeinschaftsebene zu verfälschen.
…
(7) Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sollte, selbst wenn die Sätze und Befreiungen nicht völlig harmonisiert werden, eine Wettbewerbsneutralität in dem Sinne bewirken, dass gleichartige Gegenstände und Dienstleistungen innerhalb des Gebiets der einzelnen Mitgliedstaaten ungeachtet der Länge des Produktions- und Vertriebswegs steuerlich gleich belastet...