Entscheidungsstichwort (Thema)
Unionsbürgerschaft. Aufenthaltsrecht der Angehörigen von Drittstaaten, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, der von seinem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat. Grundrechte
Normenkette
AEUV Art. 20
Beteiligte
Ymeraga und Ymeraga-Tafarshiku |
Afijete Ymeraga-Tafarshiku |
Ministre du Travail, de l'Emploi et de l'Immigration |
Tenor
Art. 20 AEUV ist dahin auszulegen, dass er der Weigerung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, einem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet zu gewähren, wenn dieser Drittstaatsangehörige dort zusammen mit einem Familienangehörigen wohnen möchte, der Bürger der Europäischen Union ist und sich in diesem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufhält, aber nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, sofern eine solche Weigerung nicht dazu führt, dass dem betreffenden Unionsbürger der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihm der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour administrative (Luxemburg) mit Entscheidung vom 16. Februar 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Februar 2012, in dem Verfahren
Kreshnik Ymeraga,
Kasim Ymeraga,
Afijete Ymeraga-Tafarshiku,
Kushtrim Ymeraga,
Labinot Ymeraga
gegen
Ministre du Travail, de l'Emploi et de l'Immigration
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter G. Arestis, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev und J. L. da Cruz Vilaça,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Ymeraga u. a., vertreten durch O. Lang, avocat,
- der luxemburgischen Regierung, vertreten durch C. Schiltz, P. Frantzen und L. Maniewski als Bevollmächtigte,
- der belgischen Regierung, vertreten durch T. Materne und C. Pochet als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der dänischen Regierung, vertreten durch C. Vang als Bevollmächtigten,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar und B. Majczyna als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Maidani und C. Tufvesson als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 20 AEUV.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Kreshnik Ymeraga, seinen Eltern Kasim Ymeraga und Afijete Ymeraga-Tafarshiku (im Folgenden: Eheleute Ymeraga) und seinen beiden Brüdern Kushtrim und Labinot Ymeraga auf der einen und dem Ministre du Travail, de l'Emploi et de l'Immigration (Minister für Arbeit, Beschäftigung und Zuwanderung, im Folgenden: Minister) auf der anderen Seite wegen der Entscheidung des Ministers, mit der den Eheleuten Ymeraga sowie Kushtrim und Labinot Ymeraga ein Aufenthaltsrecht in Luxemburg verweigert und ihnen aufgegeben wurde, das luxemburgische Hoheitsgebiet zu verlassen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Die Richtlinie 2003/86/EG
Rz. 3
Art. 1 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251, S. 12) bestimmt:
„Ziel dieser Richtlinie ist die Festlegung der Bedingungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhalten.”
Rz. 4
Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie sieht vor:
„Diese Richtlinie findet auf die Familienangehörigen eines Unionsbürgers keine Anwendung.”
Die Richtlinie 2004/38/EG
Rz. 5
Art. 2 („Begriffsbestimmungen”) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, und Berichtigung ABl. L 229, S. 35) bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
- ‚Unionsbürger’ jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt;
‚Familienangehöriger’
…
d) die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), denen von diesen Unterhalt gewährt wird;
- ‚Aufnahmemitgliedstaat’ den Mitgliedstaat, in den der Unionsbürger sich begibt, um dort sein Recht auf Freizügigkeit und sein Aufenthaltsre...