Entscheidungsstichwort (Thema)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung. Verordnung (EG) Nr. 2201/2003. Rechtshängigkeit. Hauptsacheverfahren bezüglich des Sorgerechts für ein Kind und Antrag auf einstweilige Maßnahmen bezüglich des Sorgerechts für dasselbe Kind
Beteiligte
Tenor
Die Vorschrift des Art. 19 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 ist nicht anwendbar, wenn das zur Regelung der elterlichen Verantwortung zuerst angerufene Gericht eines Mitgliedstaats nur zum vorläufigen Rechtsschutz nach Art. 20 dieser Verordnung und das Gericht eines anderen Mitgliedstaats, das nach der Verordnung Nr. 2201/2003 für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig ist, später ebenfalls zur Regelung der elterlichen Verantwortung angerufen wird, sei es zu einer einstweiligen oder zu einer endgültigen Regelung.
Der Umstand, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angerufen wird oder eine Entscheidung in einem solchen Verfahren ergeht und der eingereichte Antrag oder die ergangene Entscheidung nichts enthält, woraus sich ergibt, dass das im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angerufene Gericht nach der Verordnung Nr. 2201/2003 zuständig ist, schließt nicht zwangsläufig aus, dass es – wie dies möglicherweise nach dem nationalen Recht dieses Mitgliedstaats zulässig ist – einen mit dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz in Zusammenhang stehenden Antrag in der Hauptsache gibt, der Angaben enthält, mit denen dargetan werden soll, dass das angerufene Gericht nach dieser Verordnung zuständig ist.
Verfügt das später angerufene Gericht trotz seiner Bemühungen, sich bei der Partei, die sich auf Rechtshängigkeit beruft, dem zuerst angerufenen Gericht und der Zentralen Behörde zu informieren, nicht über Angaben, die es erlauben, den mit einem Antrag bei einem anderen Gericht verfolgten Anspruch zu bestimmen, und die insbesondere darauf gerichtet sind, die Zuständigkeit dieses Gerichts nach der Verordnung Nr. 2201/2003 darzutun, und gebietet aufgrund besonderer Umstände das Kindeswohl den Erlass einer Entscheidung, die in anderen Mitgliedstaaten als dem des später angerufenen Gerichts anerkennungsfähig ist, so hat dieses Gericht nach Ablauf einer angemessenen Frist für den Eingang der Antworten auf die gestellten Fragen die Prüfung des bei ihm eingereichten Antrags fortzusetzen. Die Dauer dieser angemessenen Frist hat dem Kindeswohl unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des betreffenden Verfahrens Rechnung zu tragen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Amtsgericht Stuttgart (Deutschland) mit Entscheidung vom 31. Mai 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Juni 2010, in dem Verfahren
Bianca Purrucker
gegen
Guillermo Vallés Pérez
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues sowie der Richter A. Arabadjiev, A. Rosas (Berichterstatter), U. Lõhmus und A. Ó Caoimh,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund der Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 15. Juli 2010, die Rechtssache dem beschleunigten Verfahren gemäß Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 104a Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. September 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Frau Purrucker, vertreten durch Rechtsanwältin B. Steinacker,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
- der spanischen Regierung, vertreten durch J. M. Rodríguez Cárcamo als Bevollmächtigten,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und B. Beaupère-Manokha als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch F. Penlington als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët und S. Grünheid als Bevollmächtigte,
nach Anhörung des Generalanwalts
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens zwischen Bianca Purrucker und Guillermo Vallés Pérez über das Sorgere...