Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Insolvenzverfahren. Wirkungen des Rechts eines Mitgliedstaats auf Forderungen, die nicht Gegenstand des Insolvenzverfahrens waren. Verwirkung. Steuerliche Natur der Forderung. Keine Auswirkung. Begriff ‚anhängige Rechtsstreitigkeiten’. Vollstreckungsverfahren. Ausschluss

 

Normenkette

Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 Art. 4; EGVO Nr. 1346/2000 Art. 15

 

Beteiligte

ENEFI

ENEFI Energiahatekonysagi Nyrt

Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Braşov (DGRFP)

 

Tenor

1. Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren ist dahin auszulegen, dass nationale Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, die in Bezug auf einen Gläubiger, der nicht an diesem Verfahren teilgenommen hat, die Verwirkung des Rechts, seine Forderung geltend zu machen, oder die Aussetzung der Zwangsvollstreckung einer solchen Forderung in einem anderen Mitgliedstaat vorsehen, in seinen Anwendungsbereich fallen.

2. Der steuerliche Charakter der Forderung, die in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden im Wege der Zwangsvollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wird, geltend gemacht wird, hat keine Auswirkung auf die Beantwortung der ersten Vorlagefrage.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Mureş (Landgericht Mureş, Rumänien) mit Entscheidung vom 24. April 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Mai 2015, in dem Verfahren

ENEFI Energiahatekonysagi Nyrt

gegen

Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Braşov (DGRFP)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Borg Barthet, E. Levits und F. Biltgen,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. April 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Fehér, G. Koós und M. Bóra als Bevollmächtigte,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und M. de Ree als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin als Bevollmächtigten im Beistand von D. Calciu, avocat,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Juni 2016

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. 2000, L 160, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der ENEFI Energiahatekonysagi Nyrt (im Folgenden: ENEFI), vormals E-Star Alternativ Energiaszolgaitato Nyrt, und der Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Braşov (DGRFP) (Regionale Generaldirektion für öffentliche Finanzen Braşov [DGRFP], Rumänien, im Folgenden: DGRFP Braşov) über die von der DGRFP Braşov beantragte Vollstreckung einer Steuerforderung.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 12, 20, 21 und 23 der Verordnung Nr. 1346/2000 lauten:

„(12) Diese Verordnung gestattet die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in dem Mitgliedstaat, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Dieses Verfahren hat universale Geltung mit dem Ziel, das gesamte Vermögen des Schuldners zu erfassen. Zum Schutz der unterschiedlichen Interessen gestattet diese Verordnung die Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren parallel zum Hauptinsolvenzverfahren. Ein Sekundärinsolvenzverfahren kann in dem Mitgliedstaat eröffnet werden, in dem der Schuldner eine Niederlassung hat. Seine Wirkungen sind auf das in dem betreffenden Mitgliedstaat belegene Vermögen des Schuldners beschränkt. Zwingende Vorschriften für die Koordinierung mit dem Hauptinsolvenzverfahren tragen dem Gebot der Einheitlichkeit des Verfahrens in der Gemeinschaft Rechnung.

(20) … Um die dominierende Rolle des Hauptinsolvenzverfahrens sicherzustellen, sollten dem Verwalter dieses Verfahrens mehrere Einwirkungsmöglichkeiten auf gleichzeitig anhängige Sekundärinsolvenzverfahren gegeben werden. Er sollte etwa einen Sanierungsplan oder Vergleich vorschlagen oder die Aussetzung der Verwertung der Masse im Sekundärinsolvenzverfahren beantragen können.

(21) Jeder Gläubiger, der seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in der Gemeinschaft hat, sollte das Recht haben, seine Forderungen in jedem in der Gemeinschaft anhängigen Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners anzumelden. Dies sollte auch für Steuerbehörden und Sozialversicherungsträger gelten. Im Interesse der Gläubigergleichbehandlung muss jedoch die Verteilung des Erlöses koordiniert werden. …

(23) Diese Verordnung sollte für den Insolvenzbereich einheitliche Kollisionsnormen formulieren, die die...

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