Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Freier Dienstleistungsverkehr. Entsendung von Arbeitnehmern. Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. Entlohnung. Sanktionen. Verjährungsfrist. Recht auf eine gute Verwaltung. Effektiver gerichtlicher Rechtsschutz
Normenkette
Richtlinie 96/71/EG Art. 3 Abs. 1 Buchst. C, Art. 5, 41, 47; Charta der Grundrechte der Europäischen Union
Beteiligte
Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld |
Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld |
Tenor
Art. 5 der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und im Licht des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes des Rechts auf eine gute Verwaltung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die für Verstöße gegen Verpflichtungen in Bezug auf die Entlohnung entsandter Arbeitnehmer eine Verjährungsfrist von fünf Jahren vorsieht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesverwaltungsgericht Steiermark (Österreich) mit Entscheidung vom 12. Mai 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Mai 2020, in dem Verfahren
LM
gegen
Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld,
Beteiligte:
Österreichische Gesundheitskasse,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer sowie der Richter N. Jääskinen und M. Safjan,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von LM, vertreten durch Rechtsanwältin P. Cernochova,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und C. Leeb als Bevollmächtigte,
- der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs, M. Van Regemorter und C. Pochet als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und P. J. O. Van Nuffel als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 41 Abs. 1 und Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und von Art. 6 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen LM und der Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld (Österreich) wegen der Geldstrafe, die über LM wegen Nichteinhaltung der im österreichischen Recht vorgesehenen Lohnverpflichtungen für entsandte Arbeitnehmer verhängt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 96/71/EG
Rz. 3
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1) sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird,
c) Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme;
…
Zum Zweck dieser Richtlinie wird der in Unterabsatz 1 Buchstabe c) genannte Begriff der Mindestlohnsätze durch die Rechtsvorschriften und/oder Praktiken des Mitgliedstaats bestimmt, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird.”
Rz. 4
Art. 5 dieser Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten sehen geeignete Maßnahmen für den Fall der Nichteinhaltung dieser Richtlinie vor.
…”
Richtlinie 2014/67/EU
Rz. 5
Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71 und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems („IMI-Verordnung”) (ABl. 2014, L 159, S. 11) bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten dürfen nur die Verwaltungsanforderungen und Kontrollmaßnahmen vorschreiben, die notwendig sind, um eine wirksame Überwachung der Einhaltung der Pflichten, die aus dieser Richtlinie und der Richtlinie 96/71… erwachsen, zu gewährleisten, ...