Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Gerichtliche Zuständigkeit für Klagen, bei denen eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden. Klage eines Insolvenzverwalters gegen einen Dritten im Interesse der Gläubiger. Ort des Eintritts des schädigenden Ereignisses. Interventionsklage eines Vertreters kollektiver Interessen. Anwendungsbereich. Allgemeine Kollisionsnorm

 

Normenkette

Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 Art. 7 Nr. 2, Art. 8 Nr. 2; Verordnung (EG) Nr. 864/2007

 

Beteiligte

BMA Nederland

ZK

BMA Braunschweigische Maschinenbauanstalt AG

 

Tenor

1. Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass das Gericht des Ortes des Sitzes einer Gesellschaft, die die Forderungen ihrer Gläubiger nicht befriedigen kann, weil die Großmuttergesellschaft dieser Gesellschaft ihre Sorgfaltspflicht gegenüber deren Gläubigern verletzt hat, für die Entscheidung über eine Verbandsklage auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder aus Ansprüchen aus einer solchen Handlung, die der Insolvenzverwalter dieser Gesellschaft im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabe zur Verwertung der Insolvenzmasse zugunsten, jedoch nicht namens der Gesamtheit der Gläubiger erhoben hat, zuständig ist.

2. Die erste Vorlagefrage ist nicht anders zu beantworten, wenn berücksichtigt wird, dass im Ausgangsverfahren eine Stiftung zur Vertretung der kollektiven Interessen der Gläubiger tätig wird und die zu diesem Zweck erhobene Klage den individuellen Umständen der Gläubiger nicht Rechnung trägt.

3. Art. 8 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 ist dahin auszulegen, dass das Gericht des Hauptprozesses, wenn es seine Entscheidung, mit der es sich für diesen Prozess für zuständig erklärt hat, aufhebt, automatisch seine Zuständigkeit für die vom Interventionskläger erhobene Klage verliert.

4. Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II”) ist dahin auszulegen, dass das auf eine Schadensersatzpflicht aufgrund der Sorgfaltspflicht der Großmuttergesellschaft einer insolventen Gesellschaft anzuwendende Recht grundsätzlich das Recht des Staates ist, in dem die Letztgenannte ihren Sitz hat, auch wenn das Bestehen einer Finanzierungsvereinbarung mit einer Gerichtsstandsklausel zwischen diesen beiden Gesellschaften ein Umstand ist, der eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen Staat im Sinne von Art. 4 Abs. 3 dieser Verordnung aufweisen kann.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank Midden-Nederland (Gericht der zentralen Niederlande) mit Entscheidung vom 2. September 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 29. September 2020, in dem Verfahren

ZK als Nachfolger von JM, Insolvenzverwalter der BMA Nederland BV,

gegen

BMA Braunschweigische Maschinenbauanstalt AG,

Beteiligte:

Stichting Belangbehartiging Crediteuren BMA Nederland,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Jääskinen sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter) und N. Piçarra,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von ZK als Nachfolger von JM, Insolvenzverwalter der BMA Nederland BV, vertreten durch I. Lintel und T. van Zanten, Advocaten,
  • der BMA Braunschweigische Maschinenbauanstalt AG, vertreten durch L. Kortmann, B. Kraaipoel und N. Pannevis, Advocaten,
  • der Stichting Belangbehartiging Crediteuren BMA Nederland, vertreten durch F. Eikelboom, Advocaat,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller, F. Wilman und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Oktober 2021

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung zum einen von Art. 7 Nr. 2 und Art. 8 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1) und zum anderen von Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II”) (ABl. 2007, L 199, S. 40).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen ZK als Nachfolger von JM, Insolvenzverwalter der BMA Nederland BV (im Folgenden: BMA NL), und der BMA Braunsch...

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