Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. Daueraufenthaltsrecht der Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die die Staatsangehörigkeit eines Drittlands besitzen. Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Unmittelbar anschließendes Zusammenleben mit anderen Partnern innerhalb des ununterbrochenen fünf Jahre langen Aufenthalts. Voraussetzungen. Verletzung des Unionsrechts durch einen Mitgliedstaat. Prüfung der Art des fraglichen Verstoßes. Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens
Normenkette
Richtlinie 2004/38/EG Art. 16 Abs. 2; Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 Art. 10 Abs. 3
Beteiligte
Minister for Justice and Equality |
Tenor
1. Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ist dahin auszulegen, dass ein Drittstaatsangehöriger, der sich vor dem Zeitpunkt der Umsetzung dieser Richtlinie fünf Jahre lang ununterbrochen in einem Mitgliedstaat als Ehegatte eines in diesem Staat arbeitenden Unionsbürgers aufgehalten hat, als eine Person anzusehen ist, die das in dieser Vorschrift vorgesehene Daueraufenthaltsrecht erlangt hat, selbst wenn sich die Ehegatten in dem genannten Zeitraum getrennt und jeweils mit einem anderen Partner zusammengelebt haben und die von dem Drittstaatsangehörigen genutzte Wohnung diesem nicht mehr von seiner Ehefrau, einer Unionsbürgerin, beschafft oder zur Verfügung gestellt wurde.
2. Die Tatsache, dass ein nationales Gericht, das mit einer Schadensersatzklage wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht befasst ist, es für notwendig gehalten hat, zum im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Unionsrecht eine Vorabentscheidungsfrage zu stellen, ist kein entscheidender Faktor für die Beurteilung, ob ein offensichtlicher Verstoß gegen dieses Recht durch den Mitgliedstaat vorliegt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court (Irland) mit Entscheidung vom 19. April 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 30. April 2013, in dem Verfahren
Ewaen Fred Ogieriakhi
gegen
Minister for Justice and Equality,
Irland,
Attorney General,
An Post
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça, G. Arestis, J.-C. Bonichot und A. Arabadjiev,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. März 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Ogieriakhi persönlich,
- des Minister for Justice and Equality, Irlands, des Attorney General und von An Post, vertreten durch E. Creedon und B. Lydon als Bevollmächtigte im Beistand von R. Barron, SC, E. Brennan, BL, und R. Barrett, Adviser,
- der griechischen Regierung, vertreten durch T. Papadopoulou als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Enegren, C. Tufvesson und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Mai 2014
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft zum einen die Auslegung von Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, berichtigt im ABl. L 229, S. 35) sowie von Art. 10 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) und zum anderen die Bestimmung der Wirkungen, die die Vorlage einer Vorabentscheidungsfrage zum Daueraufenthaltsrecht für die Beurteilung durch dieses Gericht im Rahmen einer Schadensersatzklage hat, ob der betroffene Mitgliedstaat einen offensichtlichen Verstoß gegen das Unionsrecht begangen hat.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Ogieriakhi auf der einen und dem Minister for Justice and Equality, Irland, dem Attorney General und An Post auf der anderen Seite wegen einer Klage auf Schadensersatz, die der Kläger gestützt auf die mit dem Urteil Francovich u. a. (C-6/90 und C-9/90, EU:C:1991:428) begründete Rechtsprechung gegen diesen Mitgliedstaat erhoben hat, weil Irland seinen Verpflichtungen zu...