Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. Art. 234 EG. Begriff ‚nationales Gericht’. Zulässigkeit. Richtlinie 85/337/EWG. Umweltverträglichkeitsprüfung. Bau von Hochspannungsfreileitungen. Länge von mehr als 15 km. Grenzüberschreitender Bau. Grenzüberschreitende Leitung. Den Schwellenwert übersteigende Gesamtlänge. Hauptsächlich im Hoheitsgebiet eines benachbarten Mitgliedstaats liegende Leitung. Länge des inländischen Teils, die unter dem Schwellenwert liegt
Beteiligte
Tenor
Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der durch die Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass ein in Anhang I Nr. 20 dieser Richtlinie aufgeführtes Projekt wie der Bau von Hochspannungsfreileitungen für eine Stromstärke von 220 kV oder mehr und mit einer Länge von mehr als 15 km von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats auch dann einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss, wenn es sich um ein grenzüberschreitendes Projekt handelt, das sich im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats nur über eine Länge von weniger als 15 km erstreckt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Umweltsenat (Österreich) mit Entscheidung vom 2. April 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Mai 2008, in dem Verfahren
Umweltanwalt von Kärnten
gegen
Kärntner Landesregierung
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer J.-C. Bonichot in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer sowie der Richter C. W. A. Timmermans, K. Schiemann, P. Kūris (Berichterstatter) und L. Bay Larsen,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Umweltanwalts von Kärnten, vertreten durch U. Scheuch, Landesrat,
- der Alpe Adria Energia SpA, vertreten durch Rechtsanwalt M. Mendel,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J.-B. Laignelot und B. Kotschy als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Juni 2009
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 175, S. 40) in der durch die Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 (ABl. L 156, S. 17) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 85/337).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen des Verfahrens über eine Berufung des Umweltanwalts von Kärnten (im Folgenden: Umweltanwalt) gegen einen an die Alpe Adria Energia SpA (im Folgenden: Alpe Adria) gerichteten Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 11. Oktober 2007 (im Folgenden: strittiger Bescheid).
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Rz. 3
Die Richtlinie 85/337 bezweckt nach ihrem ersten Erwägungsgrund, Verschmutzungen und sonstige Umweltbelastungen dadurch zu verhindern, dass bestimmte öffentliche und private Projekte einer vorherigen Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden.
Rz. 4
Hierzu stellt diese Richtlinie, wie sich aus ihrem 5. Erwägungsgrund ergibt, allgemeine Grundsätze für Umweltverträglichkeitsprüfungen auf, um die Genehmigungsverfahren für öffentliche und private Projekte, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben könnten, zu ergänzen und zu koordinieren.
Rz. 5
Nach dem 8. und 11. Erwägungsgrund der Richtlinie 85/337 haben Projekte bestimmter Klassen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt und sind grundsätzlich einer systematischen Prüfung zu unterziehen, um die menschliche Gesundheit zu schützen, durch eine Verbesserung der Umweltbedingungen zur Lebensqualität beizutragen, für die Erhaltung der Artenvielfalt zu sorgen und die Reproduktionsfähigkeit des Ökosystems als Grundlage allen Lebens zu erhalten.
Rz. 6
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 85/337 sieht vor:
„Gegenstand dieser Richtlinie ist die Umweltverträglichkeitsprüfung bei öffentlichen und privaten Projekten, die möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben.”
Rz. 7
Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht Folgendes vor:
„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vor Erteilung der Genehmigung die Projekte, bei denen unter anderem aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Genehmigungspflicht unterworfen und einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen unterzogen werden. Diese Projekte sind in Artikel 4 definiert.”
Rz. 8
Art. 4 Abs. 1 der genannten Richtlinie bestimmt:
„Projekte des Anhangs I werden … einer Prüfung gemäß den Artikeln 5 bis 10 unterzogen.”
Rz. 9
Art. 7 Abs. 1 de...