Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsmittel. Außervertragliche Haftung der Europäischen Union. Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF). Externe Untersuchung des OLAF. Sache ‚Eurostat‘. Übermittlung von Informationen über gegebenenfalls strafrechtlich zu ahndende Handlungen durch das OLAF an nationale Justizbehörden vor Abschluss der Untersuchung. Erstattung einer Strafanzeige durch die Europäische Kommission vor Abschluss der Untersuchung des OLAF. Nationales Strafverfahren. Endgültige Einstellung. Begriff ‚hinreichend qualifizierter Verstoß‘ gegen eine Unionsrechtsnorm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen. Immaterielle und materielle Schäden, die den Rechtsmittelführern entstanden sein sollen. Schadensersatzklage

 

Normenkette

AEUV Art. 340 Abs. 2; Verordnung (EG) Nr. 1073/1999

 

Beteiligte

Planistat Europe und Charlot/ Kommission

 

Tenor

1.Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 6. April 2022, Planistat Europe und Charlot/Kommission (T-735/20, EU:T:2022:220), wird aufgehoben, soweit das Gericht mit diesem Urteil die Klage insoweit abgewiesen hat, als sie auf Ersatz des immateriellen Schadens gerichtet war, der Herrn Hervé-Patrick Charlot durch das vor den französischen Justizbehörden gegen ihn eingeleitete Strafverfahren entstanden sein soll.

2.Im Übrigen wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.

3.Die Sache wird an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.

4.Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-363/22 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 6. Juni 2022,

Planistat Europe SARLmit Sitz in Paris (Frankreich),

Hervé-Patrick Charlot,wohnhaft in Paris,

vertreten durch F. Martin Laprade, Avocat,

Rechtsmittelführer,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission,vertreten durch J. Baquero Cruz und F. Blanc als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter Z. Csehi, M. Ilešič (Berichterstatter), I. Jarukaitis und D. Gratsias,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. Juli 2023

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Planistat Europe SARL und Herr Hervé-Patrick Charlot die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 6. April 2022, Planistat Europe und Charlot/Kommission (T-735/20, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2022:220), mit dem das Gericht ihre Schadensersatzklage abgewiesen hat. Die Klage war zum einen auf Ersatz des immateriellen Schadens, der Herrn Charlot durch die Übermittlung von Informationen über möglicherweise strafrechtlich relevante Handlungen durch das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) an die nationalen Behörden sowie durch die von der Europäischen Kommission bei diesen Behörden erstattete Strafanzeige entstanden sein soll, und zum anderen auf Ersatz des materiellen Schadens gerichtet, der den Rechtsmittelführern durch die Kündigung der zwischen Planistat Europe und der Kommission geschlossenen Verträge entstanden sein soll.

I.Rechtlicher Rahmen

Rz. 2

In den Erwägungsgründen 1, 5, 10 und 13 der in zeitlicher Hinsicht auf die vorliegende Rechtssache anwendbaren Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) (ABl. 1999, L 136, S. 1) hieß es:

„(1)      Die Organe und die Mitgliedstaaten messen dem Schutz der finanziellen Interessen der [Europäischen] Gemeinschaften sowie der Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften große Bedeutung bei. …

(5)      Die Zuständigkeit des [OLAF], wie von der Kommission eingerichtet, erstreckt sich über den Schutz der finanziellen Interessen hinaus auf alle Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Wahrung der gemeinschaftlichen Interessen gegenüber rechtswidrigen Handlungen, die verwaltungs- oder strafrechtlich geahndet werden könnten.

(10)      Bei diesen Untersuchungen, die gemäß dem Vertrag und insbesondere dem Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften und unter Wahrung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften … durchzuführen sind, müssen die Menschenrechte und die Grundfreiheiten in vollem Umfang gewahrt bleiben; dies gilt insbesondere für den Billigkeitsgrundsatz, das Recht der Beteiligten, zu den sie betreffenden Sachverhalten Stellung zu nehmen, und den Grundsatz, dass sich die Schlussfolgerungen aus einer Untersuchung nur auf beweiskräftige Tatsachen gründen dürfen. Zu diesem Zweck müssen die Organe, Einrichtungen sowie Ämter und Agenturen die Bedingungen und Modalitäten für die Durchführung...

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