Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtlinie 93/36/EWG. Öffentliche Lieferaufträge. Vergabe ohne Ausschreibung. Auftragsvergabe an ein Unternehmen, an dem der öffentliche Auftraggeber beteiligt ist
Beteiligte
Carbotermo und Consorzio Alisei |
Tenor
1. Die Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge steht der Direktvergabe eines Liefer- und Dienstleistungsauftrags, bei dem der Wert der Lieferungen überwiegt, an eine Aktiengesellschaft entgegen, deren Verwaltungsrat über weite Leitungsbefugnisse verfügt, die er autonom ausüben kann, und deren Kapital gegenwärtig vollständig von einer anderen Aktiengesellschaft gehalten wird, deren Mehrheitsaktionär der öffentliche Auftraggeber ist.
2. Die Voraussetzung für die Unanwendbarkeit der Richtlinie 93/36, dass das Unternehmen, an das ein Lieferauftrag direkt vergeben wurde, seine Tätigkeit im Wesentlichen für die Körperschaft verrichtet, die seine Anteile innehat, ist nicht anhand von Artikel 13 der Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor zu beurteilen.
3. Für die im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Richtlinie 93/36 vorzunehmende Beurteilung, ob ein Unternehmen seine Tätigkeit im Wesentlichen für die Körperschaft verrichtet, die seine Anteile innehat, sind alle Tätigkeiten zu berücksichtigen, die dieses Unternehmen aufgrund einer Vergabe durch den öffentlichen Auftraggeber verrichtet, unabhängig davon, wer diese Tätigkeit vergütet – sei es der öffentliche Auftraggeber selbst oder der Nutzer der erbrachten Dienstleistungen –, und ohne dass es darauf ankäme, in welchem Gebiet diese Tätigkeit ausgeübt wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia (Italien) mit Entscheidung vom 27. Mai 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 9. August 2004, in dem Verfahren
Carbotermo SpA,
Consorzio Alisei
gegen
Comune di Busto Arsizio,
AGESP SpA,
unterstützt durch
Associazione Nazionale Imprese Gestione servizi tecnici integrati (AGESI),
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann, des Richters K. Schiemann, der Richterin N. Colneric sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter) und E. Levits,
Generalanwältin: C. Stix-Hackl,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. November 2005,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Carbotermo SpA, vertreten durch A. Sansone und P. Sansone, avvocati,
- des Consorzio Alisei zusammen mit der AGESI, vertreten durch B. Becchi und L. Grillo, avvocati,
- der Comune di Busto Arsizio, vertreten durch C. Caputo, avvocato,
- der AGESP SpA, vertreten durch A. Sciumè und D. Tassan Mazzocco, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. Fiengo, avvocato dello Stato,
- der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing als Bevollmächtigten,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,
- der polnischen Regierung, vertreten durch T. Nowakowski als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Hoskins als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch X. Lewis und D. Recchia als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 12. Januar 2006
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. L 199, S. 1).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den Unternehmen Carbotermo SpA und Consorzio Alisei einerseits und der Comune di Busto Arsizio (im Folgenden: Gemeinde Busto Arsizio) und dem Unternehmen AGESP SpA andererseits über die Vergabe eines Auftrags über die Lieferung von Brennstoffen sowie über die Wartung der Heizungsanlagen in den Gebäuden dieser Gemeinde sowie ihre Anpassung an normative und technische Standards an das letztgenannte Unternehmen.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Artikel 1 Buchstaben a und b der Richtlinie 93/36 bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie
- gelten als öffentliche Lieferaufträge die zwischen einem Lieferanten (einer natürlichen oder juristischen Person) und einem unter Buchstabe b) näher bezeichneten öffentlichen Auftraggeber geschlossenen schriftlichen entgeltlichen Verträge über Kauf, Leasing, Miete, Pacht oder Ratenkauf, mit oder ohne Kaufoption, von Waren. Diese Lieferung kann auch Nebenarbeiten wie das Verlegen und Anbringen umfassen;
- gelten als öffentliche Auftraggeber der Staat, Gebietskörperschaften, Einr...