Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Öffentliche Aufträge. Grundsätze für die Vergabe von Aufträgen. Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter. Verpflichtung der Auftraggeber, die Bieter zu ersuchen, ihr Angebot zu ändern oder zu ergänzen. Recht des Auftraggebers, die Kaution im Fall der Weigerung einzubehalten. Nachprüfungsverfahren. Entscheidung über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags. Ausschluss eines Bieters. Antrag auf Nichtigerklärung. Rechtsschutzinteresse
Normenkette
Richtlinie 2004/17/EG Art. 10; Richtlinie 92/13/EWG Art. 1 Abs. 3, Art. 10; Richtlinie 92/13/EWG Art. 1 Abs. 3
Beteiligte
Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo S.A. |
Tenor
1. Der in Art. 10 der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste zum Ausdruck gebrachte Grundsatz der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer ist dahin auszulegen, dass er im Rahmen einer Ausschreibung der Aufforderung eines öffentlichen Auftraggebers an einen Bieter entgegensteht, die Erklärungen oder Unterlagen vorzulegen, deren Übermittlung nach den Verdingungsunterlagen gefordert war und die nicht innerhalb der Frist zur Einreichung der Angebote vorgelegt worden sind. Dieser Artikel steht hingegen der Aufforderung eines öffentlichen Auftraggebers an einen Bieter, ein Angebot zu erläutern oder einen offensichtlichen sachlichen Fehler, den dieses enthalten hat, zu berichtigen, unter der Voraussetzung nicht entgegen, dass eine solche Aufforderung an alle Bieter gerichtet wird, die sich in derselben Situation befinden, dass alle Bieter gleich und fair behandelt werden und dass diese Erläuterung oder diese Berichtigung nicht der Einreichung eines neuen Angebots gleichgestellt werden kann, was das vorlegende Gericht zu überprüfen hat.
2. Die Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der in einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags zwei Angebote eingereicht worden sind und vom öffentlichen Auftraggeber zeitgleich zwei Entscheidungen erlassen worden sind, mit denen das Angebot eines Bieters abgelehnt bzw. der Auftrag dem anderen Bieter zugeteilt worden ist, der ausgeschlossene Bieter, der einen Nachprüfungsantrag gegen diese beiden Entscheidungen einreicht, den Ausschluss des Angebots des erfolgreichen Bieters beantragen können muss, so dass mit dem Begriff „bestimmter Auftrag” im Sinne von Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 92/13 in der durch die Richtlinie 2007/66 geänderten Fassung gegebenenfalls die eventuelle Einleitung eines neuen Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags gemeint sein kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Krajowa Izba Odwolawcza (Nationale Beschwerdekammer, Polen) mit Entscheidung vom 19. Februar 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 1. März 2016, in dem Verfahren
Archus sp. z o.o.,
Gama Jacek Lipik
gegen
Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo S.A.,
Beteiligte:
Digital-Center sp. z o.o.,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras (Berichterstatter) sowie der Richter M. Safjan und D. Šváby,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo S.A., vertreten durch A. Olszewska,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Di Matteo, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann und A. Tokár als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 10 der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (ABl. 2004, L 134, S. 1) und von Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Ener...