Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Gemeinsame Politik im Bereich Asyl. Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling. Verfolgungsgründe. Begriffe‚politische Überzeugung’ und ‚ zugeschriebene politische Überzeugung’. Versuche eines Asylbewerbers, sich in seinem Herkunftsland mit rechtlichen Mitteln gegen illegal operierende nicht staatliche Akteure zu wehren, die in der Lage sind, den Repressionsapparat des betreffenden Staates zu instrumentalisieren

 

Normenkette

EURL 95/2011 Art. 10 Abs. 1 Buchst. e, Abs. 2

 

Beteiligte

Migracijos departamentas

P. I

Migracijos departamentas prie Lietuvos Respublikos vidaus reikalų ministerijos

 

Tenor

Art. 10 Abs. 1 Buchst. e und Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes

ist dahin auszulegen, dass

der Begriff „politische Überzeugung” die Versuche einer internationalen Schutz beantragenden Person im Sinne von Art. 2 Buchst. h und i dieser Richtlinie erfasst, ihre persönlichen vermögensrechtlichen und wirtschaftlichen Interessen mit rechtlichen Mitteln gegen illegal operierende nicht staatliche Akteure zu verteidigen, wenn diese aufgrund ihrer durch Korruption zum betreffenden Staat unterhaltenen Verbindungen in der Lage sind, den Repressionsapparat dieses Staates zum Nachteil dieser Person zu instrumentalisieren, soweit diese Versuche von den Akteuren, von denen die Verfolgung ausgehen kann, als Opposition oder Widerstand in einer Angelegenheit, die diese Akteure oder deren Politiken und/oder Verfahren betrifft, aufgefasst werden.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) mit Entscheidung vom 21. April 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 30. April 2021, in dem Verfahren

P. I.

gegen

Migracijos departamentas prie Lietuvos Respublikos vidaus reikalų ministerijos

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter M. Safjan, N. Piçarra (Berichterstatter), N. Jääskinen und M. Gavalec,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von P. I., vertreten durch L. Biekša, Advokatas,
  • der litauischen Regierung, vertreten durch K. Dieninis und V. Kazlauskaitė-Švenčionienė als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Azéma und A. Steiblytė als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. Juni 2022

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 10 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen P. I. und dem Migracijos departamentas prie Lietuvos Respublikos vidaus reikalų ministerijos (Migrationsbehörde beim Innenministerium der Republik Litauen, im Folgenden: Migrationsbehörde) über dessen Ablehnung, P. I. als Flüchtling anzuerkennen.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

Rz. 3

Das am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnete und am 22. April 1954 in Kraft getretene Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]) in der durch das am 31. Januar 1967 in New York abgeschlossene und am 4. Oktober 1967 in Kraft getretene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ergänzten Fassung (im Folgenden: Genfer Konvention) bestimmt in Art. 1 Abschnitt A Nr. 2 Unterabs. 1, dass der Ausdruck „Flüchtling” auf jede Person Anwendung findet, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will”.

Unionsrecht

Rz. 4

Die Erwägungsgründe 4, 12, 16 und 29 der Richtlinie 2011/95 lauten:

„(4) Die Genfer Flüchtlingskonvention und das Protokoll stellen einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen dar.

(12) Das wesentliche Ziel dieser Richtlinie besteht darin, einerseits zu gewährleisten, dass ...

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