Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbot der Doppelbestrafung. Freizügigkeit. Von Interpol herausgegebene Red Notice. Rechtmäßigkeit der Verarbeitung von personenbezogenen Daten, die in einer von Interpol herausgegebenen Red Notice enthalten sind
Normenkette
Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen Art. 54; EURL 680/2016; AEUV Art. 21; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 50
Beteiligte
Bundesrepublik Deutschland |
Bundesrepublik Deutschland |
Tenor
1. Art. 54 des am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichneten Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, das am 26. März 1995 in Kraft getreten ist, und Art. 21 Abs. 1 AEUV, jeweils in Verbindung mit Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, sind dahin auszulegen, dass sie der vorläufigen Festnahme einer Person, die Gegenstand einer auf Antrag eines Drittstaats von der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (Interpol) herausgegebenen Red Notice ist, durch die Behörden eines Vertragsstaats des am 14. Juni 1985 in Schengen unterzeichneten Übereinkommens zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen oder eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, es sei denn, mit einer in einem Vertragsstaat des genannten Übereinkommens oder in einem Mitgliedstaat ergangenen rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung wird festgestellt, dass die betreffende Person von einem Vertragsstaat des genannten Übereinkommens oder einem Mitgliedstaat wegen derselben Taten, auf die sich die Red Notice bezieht, bereits rechtskräftig abgeurteilt worden ist.
2. Die Vorschriften der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates in Verbindung mit Art. 54 des am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichneten Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen und Art. 50 der Charta der Grundrechte sind dahin auszulegen, dass sie der Verarbeitung der in einer von der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (Interpol) herausgegebenen Red Notice enthaltenen personenbezogenen Daten nicht entgegenstehen, solange nicht mit einer in einem Vertragsstaat des am 14. Juni 1985 in Schengen unterzeichneten Übereinkommens zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen oder in einem Mitgliedstaat ergangenen rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung festgestellt worden ist, dass das Verbot der Doppelbestrafung bei den Taten, auf die sich die betreffende Red Notice bezieht, greift, und sofern die Verarbeitung der Daten die Voraussetzungen gemäß der Richtlinie (EU) 2016/680 erfüllt, insbesondere im Sinne von deren Art. 8 Abs. 1 für die Erfüllung einer Aufgabe erforderlich ist, die von der zuständigen Behörde wahrgenommenen wird.
3. Frage 5 ist unzulässig.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Wiesbaden (Deutschland) mit Entscheidung vom 27. Juni 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Juli 2019, in dem Verfahren
WS
gegen
Bundesrepublik Deutschland
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot und A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen, A. Kumin und N. Wahl, der Richter T. von Danwitz, F. Biltgen und P. G. Xuereb (Berichterstatter), der Richterin L. S. Rossi sowie der Richter I. Jarukaitis und N. Jääskinen,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 2020,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von WS, zunächst vertreten durch die Rechtsanwälte S. Wolff und J. Adam, dann durch die Rechtsanwälte J. Adam und S. Schomburg,
- der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch M. Meyer, L. Wehle und A. Hansen als Bevollmächtigte,
- der belgischen Regierung, zunächst vertreten durch C. Van Lul, M. Van Regemorter, M. Jacobs, C. Pochet, J.-C. Halleux und P.-J. De Grave, dann durch M. Van Regemorter, M. Jacobs, C. Pochet, J.-C. Halleux und P.-J. De Grave als Bevollmächtigte,
- der tsc...