Entscheidungsstichwort (Thema)
Dienstleistungskonzessionen. Vergabeverfahren. Transparenzgebot. Späterer Austausch eines Nachunternehmers
Beteiligte
Frankfurter Entsorgungs- und Service (FES) GmbH |
Tenor
1. Weisen Änderungen der Bestimmungen eines Dienstleistungskonzessionsvertrags wesentlich andere Merkmale auf als die, welche die Vergabe des ursprünglichen Konzessionsvertrags gerechtfertigt haben, und lassen damit den Willen der Parteien zur euverhandlung wesentlicher Bestimmungen dieses Vertrags erkennen, müssen alle zur Wiederherstellung der Transparenz des Verfahrens erforderlichen Maßnahmen, zu denen auch ein neues Vergabeverfahren gehört, nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts des betroffenen Mitgliedstaats gewährt werden. Gegebenenfalls muss das neue Vergabeverfahren nach Modalitäten durchgeführt werden, die den Besonderheiten der betreffenden Dienstleistungskonzession angepasst sind, und ermöglichen, dass ein im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ansässiges Unternehmen vor Vergabe der Konzession Zugang zu den diese betreffenden angemessenen Informationen erhält.
2. Schließt ein konzessioniertes Unternehmen einen Vertrag über Dienstleistungen, die vom Geltungsbereich der ihm von einer Gebietskörperschaft erteilten Konzession erfasst werden, besteht die aus den Art. 43 EG und 49 EG sowie dem Grundsatz der Gleichbehandlung und dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit fließende Transparenzpflicht nicht, sofern dieses Unternehmen
- von dieser Gebietskörperschaft zum Zweck der Abfallentsorgung und Stadtreinigung gegründet wurde, aber auch auf dem Markt tätig ist,
- zu 51 % dieser Gebietskörperschaft gehört, Gesellschafterbeschlüsse jedoch nur mit einer Mehrheit von drei Vierteln der Stimmen seiner Gesellschafterversammlung gefasst werden können,
- einen Aufsichtsrat hat, dessen Mitglieder einschließlich seines Vorsitzenden nur zu einem Viertel von dieser Gebietskörperschaft bestellt werden, und
- mehr als die Hälfte seiner Umsätze aus gegenseitigen Verträgen über die Abfallentsorgung und Straßenreinigung im Gebiet dieser Körperschaft erzielt, wobei sich diese hierfür über kommunale Abgaben ihrer Bürger refinanziert.
3. Der Grundsatz der Gleichbehandlung und das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, die in den Art. 43 EG und 49 EG verankert sind, sowie die daraus fließende Transparenzpflicht verpflichten nicht in allen Fällen, in denen behauptet wird, dass diese Pflicht bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen verletzt worden sei, die nationalen Behörden zur Kündigung eines Vertrags und die nationalen Gerichte zu einer Unterlassungsanordnung. Es ist Sache des innerstaatlichen Rechts, die Rechtsschutzmöglichkeiten, die den Schutz der dem Bürger aus dieser Pflicht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, so zu regeln, dass sie nicht weniger günstig ausgestaltet sind als die entsprechenden innerstaatlichen Rechtsschutzmöglichkeiten und die Ausübung dieser Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Die Transparenzpflicht ergibt sich unmittelbar aus den Art. 43 EG und 49 EG, die in den innerstaatlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung haben und jeder entgegenstehenden Bestimmung der nationalen Rechtsordnungen vorgehen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Landgericht Frankfurt am Main (Deutschland) mit Entscheidung vom 28. Januar 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Februar 2008, in dem Verfahren
Wall AG
gegen
Stadt Frankfurt am Main,
Frankfurter Entsorgungs- und Service (FES) GmbH,
Beteiligte:
Deutsche Städte Medien (DSM) GmbH,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter), K. Lenaerts, J.-C. Bonichot, der Kammerpräsidentinnen R. Silva de Lapuerta und C. Toader sowie der Richter C. W. A. Timmermans, A. Rosas, K. Schiemann, J. Malenovský, A. Arabadjiev und J.-J. Kasel,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juni 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Wall AG, vertreten durch Rechtsanwalt H.-J. Otto sowie durch Justiziare C. Friese und R. von zur Mühlen,
- der Stadt Frankfurt am Main, vertreten durch Rechtsanwälte L. Horn und J. Sommer sowie Justiziar B. Weiß,
- der Frankfurter Entsorgungs- und Service (FES) GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt H. Höfler,
- der Deutsche Städte Medien (DSM) GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt F. Hausmann und Rechtsanwältin A. Mutschler-Siebert,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Möller als Bevollmächtigte,
- der dänischen Regierung, vertreten durch B. Weis Fogh als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und Y. de Vries als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,
- der...