Entscheidungsstichwort (Thema)
Wettbewerb. Art. 101 Abs. 1 AEUV. Kartell. Spürbarkeit einer Beschränkung. Verordnung (EG) Nr. 1/2003. Art. 3 Abs. 2. Nationale Wettbewerbsbehörde. Verhaltensweise, die geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Verfolgung und Ahndung. Nichtüberschreitung der in der De-minimis-Bekanntmachung festgelegten Marktanteilsschwellen. Bezweckte Beschränkungen
Beteiligte
Autorité de la concurrence u. a |
Tenor
Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln sind dahin auszulegen, dass sie der Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV durch eine nationale Wettbewerbsbehörde auf eine Vereinbarung zwischen Unternehmen nicht entgegenstehen, die geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, jedoch nicht die von der Europäischen Kommission in ihrer Bekanntmachung über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 [EG] nicht spürbar beschränken (de minimis), festgelegten Schwellenwerte erreicht, sofern diese Vereinbarung eine spürbare Beschränkung des Wettbewerbs im Sinne dieser Bestimmung darstellt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Frankreich) mit Entscheidung vom 10. Mai 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Mai 2011, in dem Verfahren
Expedia Inc.
gegen
Autorité de la concurrence u. a.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Richters A. Rosas in Wahrnehmung der Aufgaben der Präsidentin der Zweiten Kammer sowie der Richter U. Lõhmus (Berichterstatter), A. Ó Caoimh, A. Arabadjiev und C. G. Fernlund,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Expedia Inc., vertreten durch F. Molinié und F. Ninane, avocats,
- der Autorité de la concurrence, vertreten durch F. Zivy und L. Gauthier-Lescop als Bevollmächtigte im Beistand von É. Baraduc, avocate,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und J. Gstalter als Bevollmächtigte,
- von Irland, vertreten durch D. O'Hagan als Bevollmächtigten,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
- der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch N. von Lingen und B. Mongin als Bevollmächtigte,
- der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch X. Lewis, M. Schneider und M. Moustakali als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 6. September 2012
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Expedia Inc. (im Folgenden: Expedia) und insbesondere der Autorité de la concurrence (ehemals Conseil de la concurrence) (Wettbewerbsbehörde) über die Verfolgung und die Geldbußen, die Letztere wegen Vereinbarungen über die Gründung einer gemeinsamen Tochtergesellschaft zwischen Expedia und der Société nationale des chemins de fer français (SNCF) (französische nationale Eisenbahngesellschaft, im Folgenden: SNCF) eingeleitet bzw. verhängt hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 3 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1/2003 bestimmt:
„(1) Wenden die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten oder einzelstaatliche Gerichte das einzelstaatliche Wettbewerbsrecht auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne des Artikels 81 Absatz 1 [EG] an, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten im Sinne dieser Bestimmung beeinträchtigen können, so wenden sie auch Artikel 81 [EG] auf diese Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen an. …
(2) Die Anwendung des einzelstaatlichen Wettbewerbsrechts darf nicht zum Verbot von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen führen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind, aber den Wettbewerb im Sinne des Artikels 81 Absatz 1 [EG] nicht einschränken oder die Bedingungen des Artikels 81 Absatz 3 [EG] erfüllen oder durch eine Verordnung zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 [EG] erfasst sind …”
Rz. 4
In den Ziff. 1, 2, 4, 6 und 7 der Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 [EG] nicht spürbar beschränken (de minimis) (ABl. 2001, C 368, S. 13;...