Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche Zuständigkeit in Zivilsachen. Verordnung (EG) Nr. 44/2001. Zuständigkeit bei Verbrauchersachen. Recht eines Verbrauchers, der Adressat einer irreführenden Werbung ist, einen scheinbar gewonnenen Preis gerichtlich einzufordern. Qualifizierung. Anspruch aus einem Vertrag nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 44/2001. Voraussetzungen
Beteiligte
Martin Dreschers als Insolvenzverwalter im Konkurs der Schlank & Schick GmbH |
Tenor
Wenn, wie im Ausgangsverfahren, ein Verbraucher nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat, und bei dem Gericht des Ortes seines Wohnsitzes gegen eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Versandhandelsgesellschaft auf Auszahlung eines von ihm scheinbar gewonnenen Preises klagt und
- diese Gesellschaft dem Verbraucher zu dem Zweck, ihn zum Vertragsabschluss zu bewegen, ein persönlich adressiertes Schreiben zugesandt hat, mit dem bei ihm der Eindruck erweckt wurde, er erhalte einen Preis, wenn er diesen durch Rücksendung des dem Schreiben beigefügten „Gewinn-Anforderungs-Zertifikats” beanspruche,
- ohne dass der Erhalt dieses Preises aber von einer Bestellung von Waren, die diese Gesellschaft zum Kauf anbietet, oder von einer Testbestellung abhängt,
sind die in der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen aufgestellten Zuständigkeitsvorschriften wie folgt auszulegen:
- Eine solche von dem Verbraucher erhobene Klage unterliegt Art. 15 Abs. 1 Buchst. c dieser Verordnung unter der Voraussetzung, dass sich der gewerbsmäßige Verkäufer rechtlich gebunden hat, dem Verbraucher den Preis auszuzahlen;
- ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, unterliegt eine solche Klage nur dann der genannten Vorschrift der Verordnung Nr. 44/2001, wenn der Verbraucher bei dem gewerbsmäßigen Verkäufer tatsächlich eine Bestellung aufgegeben hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach den Art. 68 EG und 234 EG, eingereicht vom Oberlandesgericht Wien (Österreich) mit Entscheidung vom 29. März 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 7. April 2006, in dem Verfahren
Renate Ilsinger
gegen
Martin Dreschers als Insolvenzverwalter im Konkurs der Schlank & Schick GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter M. ilešič, A. Tizzano, E. Levits und J.-J. Kasel (Berichterstatter),
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juli 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von M. Dreschers als Insolvenzverwalter im Konkurs der Schlank & Schick GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt A. Matt,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl, S. Zeichen und M. Rüffenstein als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch T. Boček und M. Smolek als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch M. Sampol Pucurull und B. Plaza Cruz als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,
- der slowenischen Regierung, vertreten durch T. Mihelič als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët, S. Grünheid und W. Bogensberger als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 11. September 2008
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Ilsinger, einer österreichischen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in St. Pölten (Österreich), und Herrn Dreschers als Insolvenzverwalter der Schlank & Schick GmbH (im Folgenden: Schlank & Schick), einer für insolvent erklärten Versandhandelsgesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Aachen (Deutschland), in dem Frau Ilsinger gegen Schlank & Schick auf Auszahlung eines Gewinns an sie klagt.
Rechtlicher Rahmen
Die Verordnung Nr. 44/2001
Rz. 3
Die mit der Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellten Zuständigkeitsvorschriften stehen in deren Kapitel II, das aus den Art. 2 bis 31 besteht.
Rz. 4
In Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001, der zu Kapitel II Abschnitt 1 („Allgemeine Vorschriften”) gehört, heißt es:
„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.”
Rz. 5
Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung, der zum selben Abschnitt 1 gehört, bestimmt:
„Personen, die ihren...