Entscheidungsstichwort (Thema)
Befreiung von einer Kommunal- oder Provinzialsteuer als Beihilfe, Motorkraftsteuer ist keine diskriminierende inländische Abgabe oder verbotene Abgabe zollgleicher Wirkung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Befreiung von einer Kommunal- oder Provinzialsteuer auf Motorkraft, die nur für Motoren gilt, die in Erdgasanlagen verwendet werden, nicht aber für Motoren, die für andere Industriegase eingesetzt werden, kann als staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 EG qualifiziert werden. Es ist Sache der vorlegenden Gerichte, zu beurteilen, ob die Bedingungen für das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe erfüllt sind.
2. Die etwaige Rechtswidrigkeit einer Steuerbefreiung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht auf dem Gebiet staatlicher Beihilfen kann die Rechtmäßigkeit der Steuer selbst nicht berühren, so dass die Unternehmen, die diese Steuer zu entrichten haben, sich vor den nationalen Gerichten nicht auf die Rechtswidrigkeit der gewährten Steuerbefreiung berufen können, um sich der Entrichtung dieser Steuer zu entziehen oder deren Erstattung zu erwirken.
3. Eine Motorkraftsteuer, die insbesondere auf Motoren erhoben wird, die für den Transport von Industriegas unter sehr hohem Druck in Rohrleitungen eingesetzt werden, stellt keine Abgabe gleicher Wirkung im Sinne des Artikels 25 EG dar.
4. Eine Motorkraftsteuer, die insbesondere auf Motoren erhoben wird, die für den Transport von Industriegas unter sehr hohem Druck in Rohrleitungen eingesetzt werden, stellt keine diskriminierende inländische Abgabe im Sinne des Artikels 90 EG dar.
Normenkette
EGVtr Art. 87, 25, 90
Beteiligte
Air Liquide Industries Belgium |
Air Liquide Industries Belgium SA |
Verfahrensgang
Cour d' appel de Liege (Belgien) (Urteil vom 15.09.2004) |
Tatbestand
„Staatliche Beihilfen ‐ Begriff ‐ Befreiung von einer Kommunal- und einer Provinzialsteuer ‐ Wirkungen des Artikels 88 Absatz 3 EG ‐ Abgaben gleicher Wirkung ‐ Inländische Abgaben“
In den verbundenen Rechtssachen C-393/04 und C-41/05
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Cour d’appel Lüttich (C-393/04) und vom Tribunal de première instance Lüttich (C-41/05) (Belgien) mit Entscheidungen vom 15. September 2004 und 24. Januar 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 17. September 2004 und 3. Februar 2005, in den Verfahren
Air Liquide Industries Belgium SA
gegen
Stadt Seraing (C-393/04)
und
Provinz Lüttich (C-41/05)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, des Richters J. Makarczyk, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter P. Kũris und G. Arestis,
Generalanwalt: A. Tizzano,
Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Oktober 2005,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Air Liquide Industries Belgium SA, vertreten durch P. De Bandt, H. Deckers und G. Lienart, avocats,
‐ der Stadt Seraing, vertreten durch J.-L. Gilissen, R. Ghods und M.-P. Donea, avocats,
‐ der Provinz Lüttich, vertreten durch C. Collard, avocat,
‐ der belgischen Regierung, vertreten durch M. Wimmer als Bevollmächtigten,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J.-P. Keppenne und B. Stromsky als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. März 2006
folgendes
Urteil
1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung des Begriffes der staatlichen Beihilfe und die Frage, welche Rechtsfolgen sich aus dem Vorliegen einer solchen Beihilfe auf nationaler Ebene ergeben können. Sie betreffen außerdem die Auslegung der Begriffe der Abgabe gleicher Wirkung und der innerstaatlichen Abgabe.
2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Air Liquide Industries Belgium SA (im Folgenden: Air Liquide) und zum einen der Stadt Seraing und zum anderen der Provinz Lüttich.
3
Die Air Liquide ist ein internationaler Konzern, der auf die Erzeugung und den Transport industrieller und medizinischer Gase spezialisiert ist und auch damit in Zusammenhang stehende Dienstleistungen anbietet. Sie liefert insbesondere Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff sowie zahlreiche weitere Gase für so unterschiedliche Sektoren wie die Eisen- und Stahlindustrie, die Raffination, die chemische Industrie, die Metallindustrie, die Glas-, die Elektronik-, die Papier-, die Nahrungsmittel- und die Gesundheitsindustrie sowie die Luft- und Raumfahrtindustrie.
4
Im Rahmen ihrer Tätigkeit transportiert die Air Liquide u. a. Industriegas von verschiedenen in Belgien, in Frankreich und in den Niederlanden gelegenen Produktionsstätten aus zu ihren Abnehmern in diesen drei Staaten. Dieser Transport erfolgt in den genannten Staaten durch ein Netz von Hochdruckrohrleitungen, mit dem insbesondere die Großabnehmer in den Gebieten der Eisen- und Stahl- sowie der chemischen Industrie versorgt werden können.
5
Für die Eins...