Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen. Versagungsgründe. Verstoß gegen die öffentliche Ordnung des Vollstreckungsstaats. Dem Markenrecht der Union widersprechende Entscheidung eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats. Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. Prozesskosten
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 44/2001; Richtlinie 2004/48/EG
Beteiligte
Tenor
1. Art. 34 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass der Umstand, dass eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung gegen das Unionsrecht verstößt, nicht die Versagung der Anerkennung dieser Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat mit der Begründung rechtfertigt, dass sie gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) dieses Staates verstößt, sofern der geltend gemachte Rechtsfehler keine offensichtliche Verletzung einer in der Unionsrechtsordnung und somit in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines in diesen Rechtsordnungen als grundlegend anerkannten Rechts darstellt. Dies ist bei der fehlerhaften Anwendung einer Bestimmung wie Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken in der durch das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 geänderten Fassung nicht der Fall.
Wenn das Gericht des Vollstreckungsstaats das mögliche Vorliegen eines offensichtlichen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung dieses Staates prüft, hat es zu berücksichtigen, dass die Rechtsbürger – unter der Voraussetzung, dass keine besonderen Umstände vorliegen, die das Einlegen der Rechtsbehelfe im Ursprungsmitgliedstaat zu sehr erschweren oder unmöglich machen – in diesem Mitgliedstaat von allen gegebenen Rechtsbehelfen Gebrauch machen müssen, um im Vorhinein zu verhindern, dass es zu einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung kommt.
2. Art. 14 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ist dahin auszulegen, dass er für die Prozesskosten gilt, die den Parteien im Rahmen einer in einem Mitgliedstaat erhobenen Klage entstanden sind, mit der Ersatz des Schadens verlangt wird, der durch eine in einem anderen Mitgliedstaat zur Verhinderung einer Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums erfolgte Beschlagnahme verursacht wurde, wenn sich im Rahmen dieser Schadensersatzklage die Frage der Anerkennung einer in dem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung stellt, mit der festgestellt worden ist, dass die Beschlagnahme ungerechtfertigt war.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 20. Dezember 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Dezember 2013, in dem Verfahren
Diageo Brands BV
gegen
Simiramida-04 EOOD
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter S. Rodin und E. Levits, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) sowie des Richters F. Biltgen,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Diageo Brands BV, vertreten durch F. Vermeulen, C. Gielen und A. Verschuur, advocaten,
- der Simiramida-04 EOOD, vertreten durch S. Todorova Zhelyazkova, advokat, sowie durch M. Gerritsen und A. Gieske, advocaten,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,
- der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kalniņš und I. Ņesterova als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët und G. Wils als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. März 2015
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 34 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) und von Art. 14 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. L 157, S. 45).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Diageo Brands BV (im Folgenden: Diageo Brands) und der Simiramida-04 EOOD (im Folgenden: Simiramida) wegen deren Klage auf Ersatz des Schadens, der ihr durch eine auf Antrag von Diageo Brands erfolgte Beschlagnahme von für sie bestimmten Ware...