Entscheidungsstichwort (Thema)
Verordnung (EG) Nr. 44/2001. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b und 11 Abs. 2. Zuständigkeit für Versicherungssachen. Autounfall. Legalzession der Opferansprüche an einen Sozialversicherungsträger. Regressverfahren gegen den Versicherer des mutmaßlichen Unfallverursachers. Ziel des Schutzes der schwächeren Partei
Beteiligte
Vorarlberger Gebietskrankenkasse |
Vorarlberger Gebietskrankenkasse |
WGV-Schwäbische Allgemeine Versicherungs AG |
Tenor
Die Verweisung in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen auf deren Art. 9 Abs. 1 Buchst. b ist dahin auszulegen, dass ein Sozialversicherungsträger als Legalzessionar der Ansprüche des bei einem Autounfall unmittelbar Geschädigten vor den Gerichten des Mitgliedstaats seiner Niederlassung nicht eine Klage unmittelbar gegen den in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Versicherer des mutmaßlichen Unfallverursachers erheben kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach den Art. 68 EG und 234 EG, eingereicht vom Landesgericht Feldkirch (Österreich) mit Entscheidung vom 14. Juli 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Juli 2008, in dem Verfahren
Vorarlberger Gebietskrankenkasse
gegen
WGV-Schwäbische Allgemeine Versicherungs AG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter A. Ó Caoimh, J. Klučka (Berichterstatter), U. Lõhmus und der Richterin P. Lindh,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzlerin: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juli 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Vorarlberger Gebietskrankenkasse, vertreten durch Rechtsanwalt A. Wittwer,
- der WGV-Schwäbische Allgemeine Versicherungs AG, vertreten durch Rechtsanwalt A. Weber,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer und G. Kunnert als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Kemper als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch J. López-Medel Báscones als Bevollmächtigten,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. Bruni als Bevollmächtigte, unterstützt von W. Ferrante, avvocato dello Stato,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët und S. Grünheid als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Regressverfahrens, das von der Vorarlberger Gebietskrankenkasse mit Sitz in Dornbirn (Österreich) (im Folgenden: VGKK) gegen die WGV-Schwäbische Allgemeine Versicherungs AG mit Sitz in Stuttgart (Deutschland) (im Folgenden: WGV-SAV) angestrengt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsregelung
Verordnung Nr. 44/2001
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 11 bis 13 der Verordnung Nr. 44/2001 lauten:
„(11) Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.
(12) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten muss durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind.
(13) Bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen sollte die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung.”
Rz. 4
Die von der Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellten Zuständigkeitsregeln sind in deren Kapitel II geregelt, das aus den Art. 2 bis 31 besteht.
Rz. 5
Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung, der zu dem Abschnitt 1 dieses Kapitels II unter der Überschrift „Allgemeine Vorschriften” gehört, bestimmt:
„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.”
Rz. 6
Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung, der unter eben diesem Abschnitt 1 steht, sieht vor:
„Personen, die ihren Wohnsitz i...