Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahlfreiheit der Parteien. Grenzen. Zwingende Vorschriften. Selbständige Handelsvertreter. Verträge über den Ver- oder Ankauf von Waren. Beendigung des Handelsvertretervertrags durch den Auftraggeber. Nationale Umsetzungsvorschriften, die einen über die Mindestanforderungen der Richtlinie hinausgehenden Schutz und außerdem einen Schutz der Handelsvertreter im Rahmen von Dienstleistungsverträgen vorsehen
Normenkette
Übereinkommen von Rom Art. 3, 7 Abs. 2; Richtlinie 86/653/EWG
Beteiligte
United Antwerp Maritime Agencies (Unamar) NV |
Navigation Maritime Bulgare |
Tenor
Die Art. 3 und 7 Abs. 2 des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom, sind in dem Sinne auszulegen, dass das von den Parteien eines Handelsvertretervertrags gewählte Recht eines Mitgliedstaats der Europäischen Union, das den durch die Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter vorgeschriebenen Mindestschutz gewährt, von dem angerufenen Gericht eines anderen Mitgliedstaats nur dann zugunsten der lex fori mit der Begründung, dass die Vorschriften über selbständige Handelsvertreter in der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats zwingenden Charakter haben, unangewendet gelassen werden kann, wenn das angerufene Gericht substantiiert feststellt, dass der Gesetzgeber des Staates dieses Gerichts es im Rahmen der Umsetzung dieser Richtlinie für unerlässlich erachtet hat, dem Handelsvertreter in der betreffenden Rechtsordnung einen Schutz zu gewähren, der über den in der genannten Richtlinie vorgesehenen hinausgeht, und dabei die Natur und den Gegenstand dieser zwingenden Vorschriften berücksichtigt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach dem Ersten Protokoll vom 19. Dezember 1988 betreffend die Auslegung des am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, eingereicht vom Hof van Cassatie (Belgien) mit Entscheidung vom 5. April 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 20. April 2012, in dem Verfahren
United Antwerp Maritime Agencies (Unamar) NV
gegen
Navigation Maritime Bulgare
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richter C. G. Fernlund und A. Ó Caoimh sowie der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Navigation Maritime Bulgare, vertreten durch S. Van Moorleghem, advocaat,
- der belgischen Regierung, vertreten durch T. Materne und C. Pochet als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Troosters und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Mai 2013
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 3 und 7 Abs. 2 des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom (ABl. L 266, S. 1, im Folgenden: Übereinkommen von Rom), in Verbindung mit der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. L 382, S. 17).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der United Antwerp Maritime Agencies (Unamar) NV (im Folgenden: Unamar), einer Gesellschaft belgischen Rechts, und der Navigation Maritime Bulgare (im Folgenden: NMB), einer Gesellschaft bulgarischen Rechts, wegen verschiedener Entschädigungen, die angeblich infolge der von NMB erklärten Kündigung des zwischen den beiden Gesellschaften bestehenden Handelsvertretervertrags zu zahlen sind.
Rechtlicher Rahmen
Internationales Recht
Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche
Rz. 3
Art. II Abs. 1 und 3 des am 10. Juni 1958 in New York unterzeichneten Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (United Nations Treaty Series, Bd. 330, S. 3) bestimmt:
„1. Jeder Vertragsstaat erkennt eine schriftliche Vereinbarung an, durch die sich die Parteien verpflichten, alle oder einzelne Streitigkeiten, die zwischen ihnen aus einem bestimmten Rechtsverhältnis, sei es vertraglicher oder nichtvertraglicher Art, bereits entstanden sind oder etwa künftig entstehen, einem schiedsrichterlichen Verfahren zu unterwerfen, sofern der Gegenstand des Streites auf schiedsrichterlichem Wege geregelt werden kann.
…
3. Wird ein Gericht eines Vertragsstaates wegen eines Streitgegenstandes angerufen, hinsichtlich dessen die Parteien eine Vereinbarung im Sinne dieses Artikels getroffen haben, so hat das Ge...