Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung. Vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen durch einen Mitgliedstaat. Illegale Einreise eines Drittstaatsangehörigen. Gleichstellung von Binnen- und Außengrenzen
Normenkette
EUV 2016/399 Art. 32; Richtlinie 2008/115/EG Art. 2 Abs. 2 Buchst. a
Beteiligte
Préfet des Pyrénées-Orientales |
Procureur de la République près le tribunal de grande instance de Montpellier |
Procureur général près la cour d'appel de Montpellier |
Tenor
Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/115/EG desEuropäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger in Verbindung mitArt. 32 der Verordnung (EU) 2016/399 desEuropäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) ist dahin auszulegen, dass er nicht für den Fall eines Drittstaatsangehörigen gilt, der in unmittelbarer Nähe einer Binnengrenze aufgegriffen wird und der im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats illegal aufhältig ist, auch wenn dieser Mitgliedstaat gemäß Art. 25 dieses Kodex wegen einer ernsthaften Bedrohung für die öffentliche Ordnung oder seine innere Sicherheit Kontrollen an dieser Grenze wiedereingeführt hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) mit Entscheidung vom 12. Juli 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Juli 2017, in dem Verfahren
Préfet des Pyrénées-Orientales
gegen
Abdelaziz Arib,
Procureur de la République près le tribunal de grande instance de Montpellier,
Procureur général près la cour d'appel de Montpellier
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten E. Regan und T. von Danwitz, der Kammerpräsidentin C. Toader, des Kammerpräsidenten C. Lycourgos (Berichterstatter) sowie der Richter A. Rosas, E. Juhász, M. Ilešič, J. Malenovský, M. Safjan, D. Šváby, C. G. Fernlund und C. Vajda,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juni 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Préfet des Pyrénées-Orientales, vertreten durch F.-H. Briard und S. Bonichot, avocats,
- der französischen Regierung, vertreten durch E. de Moustier, E. Armoet und D. Colas als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch R. Kanitz als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und G. Wils als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Oktober 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 32 der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. 2016, L 77, S. 1, Berichtigung ABl. 2018, L 272, S. 69, im Folgenden: Schengener Grenzkodex) sowie von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98).
Rz. 2
Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen dem Préfet des Pyrénées-Orientales (Präfekt des Departements Pyrénées-Orientales, Frankreich) auf der einen Seite und Herrn Abdelaziz Arib, dem Procureur de la République près le tribunal de grande instance de Montpellier (Staatsanwaltschaft beim Landgericht Montpellier, Frankreich) und dem Procureur général près la cour d'appel de Montpellier (Generalstaatsanwaltschaft beim Berufungsgericht Montpellier, Frankreich) auf der anderen Seite über die Verlängerung der Verwaltungshaft von Herrn Arib, der illegal in das französische Hoheitsgebiet eingereist war.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
SDÜ
Rz. 3
Das am 19. Juni 1990 in Schengen (Luxemburg) unterzeichnete und am 26. März 1995 in Kraft getretene Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 19, im Folgenden: SDÜ) ist Teil des Schengen-Besitzstands.
Rz. 4
Art. 26 des SDÜ lautet:
„(1) Vorbehaltlich der Verpflichtungen, die sich aus der Genfer Konvention vom 28. Juli 1951 über den Flüchtlingsstatus in der Fassung des Protokolls von New York vom 31. Januar 1967 ergeben, verpfli...