Entscheidungsstichwort (Thema)
Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger. Rückkehrentscheidung, die mit einem Einreiseverbot einhergeht. Grundsätzlich auf fünf Jahre beschränkte Dauer des Einreiseverbots. Nationale Regelung, wonach das Einreiseverbot unbefristet ist, sofern kein Befristungsantrag gestellt wird. Drittstaatsangehörige, die aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind. Nichtanwendung der Richtlinie
Normenkette
Richtlinie 2008/115/EG Art. 11 Abs. 2, Art. 2 Abs. 2 Buchst. b
Beteiligte
Tenor
1. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Vorschrift wie § 11 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet entgegensteht, die die Befristung eines Einreiseverbots davon abhängig macht, dass der betreffende Drittstaatsangehörige einen Antrag auf eine derartige Befristung stellt.
2. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 ist dahin auszulegen, dass er es verbietet, einen Verstoß gegen ein Verbot, in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einzureisen und sich dort aufzuhalten, das mehr als fünf Jahre vor dem Zeitpunkt verhängt wurde, zu dem der betreffende Drittstaatsangehörige erneut in dieses Hoheitsgebiet eingereist oder die innerstaatliche Regelung zur Umsetzung dieser Richtlinie in Kraft getreten ist, strafrechtlich zu ahnden, es sei denn, dieser Drittstaatsangehörige stellt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar.
3. Die Richtlinie 2008/115 ist dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach eine Ausweisung oder Abschiebung, die mehr als fünf Jahre vor dem Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt, zu dem diese Richtlinie hätte umgesetzt werden müssen, und dem Zeitpunkt, zu dem sie tatsächlich umgesetzt wurde, erfolgte, später erneut als Grundlage für eine strafrechtliche Verfolgung dienen kann, wenn diese Maßnahme im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der genannten Richtlinie aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion vorgenommen wurde und der betreffende Mitgliedstaat von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Amtsgericht Laufen (Deutschland) mit Entscheidung vom 13. Juni 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Juni 2012, in den Strafverfahren gegen
Gjoko Filev,
Adnan Osmani
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richter J. Malenovský, U. Lõhmus (Berichterstatter) und M. Safjan sowie der Richterin A. Prechal,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. März 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und V. Kreuschitz als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348, S. 98) und insbesondere des Art. 11 Abs. 2 dieser Richtlinie.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen von Strafverfahren, die gegen Herrn Filev, einen Staatsangehörigen der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien, und Herrn Osmani, einen Staatsangehörigen der Republik Serbien, eingeleitet wurden, nachdem diese mehr als fünf Jahre nach ihrer Ausweisung aus Deutschland unter Verstoß gegen die unbefristeten Einreiseverbote, mit denen die gegen sie erlassenen Ausweisungsbescheide einhergingen, nach Deutschland eingereist waren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 4, 5 und 14 der Richtlinie 2008/115 lauten:
„(4) Eine wirksame Rückkehrpolitik als notwendiger Bestandteil einer gut geregelten Migrationspolitik muss mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften unterlegt werden.
(5) Mit dieser Richtlinie sollte eine Reihe von horizontalen Vorschriften eingeführt werden, die für sämtliche Drittstaatsangehörige gelten, die die Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllen.
…
(14) Die ...