Entscheidungsstichwort (Thema)
Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Erteilung einer beschränkten Aufenthaltsbewilligung auf die Tätigkeit im Rahmen einer Berufsausbildung bei einem bestimmten Arbeitgeber. Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen. Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats. Im Rahmen einer Berufsausbildung entgeltlich beschäftigter türkischer Staatsangehöriger. Wirkungen einer Ausweisung
Normenkette
Assoziierungsabkommen EWG-Türkei Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates Art. 7 Abs. 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates
Beteiligte
Verfahrensgang
Tenor
1. Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des durch das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation ist dahin auszulegen, dass ein türkischer Staatsangehöriger,
dem die Einreise in einen Mitgliedstaat mit einem Sichtvermerk nur gültig zur Ausbildung gestattet worden ist,
dem danach eine auf die Tätigkeit im Rahmen seiner Berufsausbildung bei einem bestimmten Arbeitgeber beschränkte Aufenthaltsbewilligung erteilt worden ist und
der in diesem Zusammenhang eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit für diesen Arbeitgeber rechtmäßig ausgeübt hat, für die er als Gegenleistung eine der geleisteten Arbeit entsprechende Vergütung erhalten hat,
ein Arbeitnehmer ist, der dem regulären Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats angehört und dort eine ordnungsgemäße Beschäftigung im Sinne der genannten Bestimmung ausübt.
Hat ein solcher türkischer Staatsangehöriger bei dem genannten Arbeitgeber während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens vier Jahren gearbeitet, so hat er im Aufnahmemitgliedstaat gemäß Artikel 6 Absatz 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 das Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis sowie ein damit einhergehendes Aufenthaltsrecht.
2. Ist ein türkischer Staatsangehöriger, der die Voraussetzungen einer Bestimmung des Beschlusses Nr. 1/80 erfüllt und dem deshalb daraus Rechte erwachsen, abgeschoben worden, so steht das Gemeinschaftsrecht der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen, nach der die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung so lange versagt werden muss, bis die Wirkungen der Abschiebung befristet worden sind.
Gründe
1.
Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat mit Beschluss vom 22. März 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Mai 2000, gemäß Artikel 234 EG fünf Fragen nach der Auslegung der Artikel 6 Absatz 1 und 7 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (nachfolgend: Beschluss Nr. 1/80) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Kurz, geb. Yüce, einem türkischen Staatsangehörigen, und dem Land Baden-Württemberg wegen Entscheidungen des Letztgenannten, mit denen der Antrag von Herrn Kurz auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis für Deutschland abgelehnt, die Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung verweigert und seine Ausweisung aus Deutschland verfügt wurde.
Der Beschluss Nr. 1/80
3.
Die Artikel 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 stehen in dessen Kapitel II (Soziale Bestimmungen) Abschnitt 1 (Fragen betreffend die Beschäftigung und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer).
4.
Artikel 6 Absatz 1 lautet:
Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat
- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaats eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
- nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.
5.
Artikel 7 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 bestimmt:
Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbil...