Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Asylpolitik. Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Verweigerung des Militärdienstes. Recht des Herkunftslandes, das das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen nicht vorsieht. Schutz der Personen, die nach dem Ablauf einer Frist zur Aussetzung des Militärdienstes aus ihrem Herkunftsland geflohen sind. Verknüpfung zwischen den in Art. 10 dieser Richtlinie genannten Gründen und der Strafverfolgung und Bestrafung im Sinne dieser Richtlinie. Beweis
Normenkette
EURL 95/2011 Art. 9 Abs. 2 Buchst. e, Abs. 3, 2 Buchst. e, Art. 10
Beteiligte
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge |
Bundesrepublik Deutschland |
Tenor
1. Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass er es, wenn das Recht des Herkunftsstaats die Möglichkeit der Verweigerung des Militärdienstes nicht vorsieht, nicht verwehrt, diese Verweigerung in dem Fall festzustellen, in dem der Betroffene seine Verweigerung nicht in einem bestimmten Verfahren formalisiert hat und aus seinem Herkunftsland geflohen ist, ohne sich der Militärverwaltung zur Verfügung zu stellen.
2. Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95 ist dahin auszulegen, dass für einen Wehrpflichtigen, der seinen Militärdienst in einem Konflikt verweigert, seinen künftigen militärischen Einsatzbereich aber nicht kennt, die Ableistung des Militärdienstes in einem Kontext eines allgemeinen Bürgerkriegs, der durch die wiederholte und systematische Begehung von Verbrechen oder Handlungen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie durch die Armee unter Einsatz von Wehrpflichtigen gekennzeichnet ist, unabhängig vom Einsatzgebiet unmittelbar oder mittelbar die Beteiligung an solchen Verbrechen oder Handlungen umfassen würde.
3. Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 ist dahin auszulegen, dass zwischen den in ihrem Art. 10 genannten Gründen und der Strafverfolgung oder Bestrafung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dieser Richtlinie eine Verknüpfung bestehen muss.
4. Art. 9 Abs. 2 Buchst. e in Verbindung mit Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 ist dahin auszulegen, dass das Bestehen einer Verknüpfung zwischen den in Art. 2 Buchst. d und Art. 10 dieser Richtlinie genannten Gründen und der Strafverfolgung oder Bestrafung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dieser Richtlinie nicht allein deshalb als gegeben angesehen werden kann, weil Strafverfolgung oder Bestrafung an diese Verweigerung anknüpfen. Allerdings spricht eine starke Vermutung dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen mit einem der fünf in Art. 10 dieser Richtlinie aufgezählten Gründe in Zusammenhang steht. Es ist Sache der zuständigen nationalen Behörden, in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die Plausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Hannover (Deutschland) mit Entscheidung vom 7. März 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 20. März 2019, in dem Verfahren
EZ
gegen
Bundesrepublik Deutschland
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Ersten Kammer J.-C. Bonichot (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten, der Richterin C. Toader und des Richters M. Safjan,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. März 2020,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von EZ, vertreten durch Rechtsanwältin S. Schröder,
- der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch A. Horlamus als Bevollmächtigten,
- der deutschen Regierung, vertreten durch R. Kanitz als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Grünheid und M. Condou-Durande als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 28. Mai 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e und Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen EZ, einem syrischen Staatsangehörigen, und der B...