Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen. Besondere Zuständigkeit, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden. Begriffe ‚Verkauf beweglicher Sachen’. und ‚Erbringung von Dienstleistungen’. Vertriebsvertrag über bewegliche Sachen
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 Art. 2, 5 Nr. 1 Buchst. a, b
Beteiligte
Tenor
1. Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er, wenn der Beklagte seinen (Wohn-)Sitz in einem anderen als dem Mitgliedstaat hat, in dem sich der Sitz des mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts befindet, der Anwendung einer innerstaatlichen Zuständigkeitsvorschrift wie der in Art. 4 der Loi du 27 juillet 1961 relative à la résiliation unilatérale des concessions de vente exclusive à durée indéterminée (Gesetz vom 27. Juli 1961 über die einseitige Kündigung unbefristeter Alleinvertriebsverträge) in der durch die Loi du 13 avril 1971 relative à la résiliation unilatérale des concessions de vente (Gesetz vom 13. April 1971 über die einseitige Kündigung der Vertriebsverträge) geänderten Fassung entgegensteht.
2. Art. 5 Nr. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 ist dahin auszulegen, dass die im zweiten Gedankenstrich dieser Bestimmung enthaltene Zuständigkeitsvorschrift für Rechtsstreitigkeiten in Bezug auf Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen im Fall einer Klage anwendbar ist, mit der ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Kläger gegenüber einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Beklagten Ansprüche aus einem Vertriebsvertrag geltend macht, wobei Voraussetzung ist, dass der zwischen den Parteien bestehende Vertrag besondere Klauseln über den Vertrieb der vom Lizenzgeber verkauften Waren durch den Vertragshändler enthält. Es obliegt dem nationalen Gericht, zu prüfen, ob dies in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit der Fall ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal de commerce de Verviers (Belgien), mit Entscheidung vom 20. Dezember 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Januar 2012, in dem Verfahren
Corman-Collins SA
gegen
La Maison du Whisky SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, des Richters A. Borg Barthet und der Richterin M. Berger (Berichterstatterin),
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 31. Januar 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Corman-Collins SA, vertreten durch P. Henry und F. Frederick, avocats,
- der La Maison du Whisky SA, vertreten durch B. Noels und C. Héry, avocats,
- der belgischen Regierung, vertreten durch T. Materne, J.-C. Halleux und C. Pochet als Bevollmächtigte,
- der schweizerischen Regierung, vertreten durch O. Kjelsen als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. April 2013
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 und Art. 5 Nr. 1 Buchst. a und b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1, im Folgenden: Verordnung).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Corman-Collins SA (im Folgenden: Corman-Collins) mit Sitz in Belgien gegen die La Maison du Whisky SA (im Folgenden: La Maison du Whisky) mit Sitz in Frankreich wegen einer Klage auf Entschädigung aufgrund der Kündigung eines Vertriebsvertrags über bewegliche Sachen, der zwischen diesen Unternehmen bestanden haben soll.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 2 der Verordnung, der sich in Abschnitt 1 („Allgemeine Vorschriften”) des Kapitels II mit Zuständigkeitsvorschriften befindet, stellt in Abs. 1 den Grundsatz auf, dass „[v]orbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung … Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen [sind]”.
Rz. 4
Art. 3 der Verordnung, der ebenfalls zu Abschnitt 1 des Kapitels II gehört, bestimmt:
„(1) Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden.
(2) Gegen diese Personen können insbesondere nicht die in Anhang I aufgeführten innerstaatlichen Zuständigkeitsvorschriften geltend gemacht werden.”
Rz. 5
Art. 5 der Verordnung, der zu Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten”) des K...