Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Fehlender Schutz. Sogenannte ‚Reparaturklausel’. Begriff ‚Bauelement eines komplexen Erzeugnisses’. Reparatur des komplexen Erzeugnisses, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen. Maßnahmen, die der Benutzer ergreifen muss, um sich auf die ‚Reparaturklausel’ berufen zu können. Nachgebaute Autofelge, die mit dem Originalfelgenmodell identisch ist
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 6/2002 Art. 110 Abs. 1
Beteiligte
Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG |
Tenor
1. Art. 110 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist dahin auszulegen, dass die darin enthaltene sogenannte „Reparaturklausel” den Ausschluss des Schutzes als Gemeinschaftsgeschmacksmuster für ein Muster, das als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses mit dem Ziel verwendet wird, die Reparatur dieses komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen, nicht unter die Voraussetzung stellt, dass das geschützte Geschmacksmuster vom Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses abhängig ist.
2. Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 ist dahin auszulegen, dass die darin enthaltene „Reparaturklausel” den Ausschluss des Schutzes als Gemeinschaftsgeschmacksmuster für ein Muster, das als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses mit dem Ziel verwendet wird, die Reparatur dieses komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen, unter die Voraussetzung stellt, dass das Erscheinungsbild des Ersatzteils mit demjenigen optisch identisch ist, das das ursprünglich in das komplexe Erzeugnis eingefügte Bauelement bei seinem Inverkehrbringen hatte.
3. Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 ist dahin auszulegen, dass der Hersteller oder Anbieter eines Bauelements eines komplexen Erzeugnisses, um sich auf die in dieser Vorschrift enthaltene „Reparaturklausel” berufen zu können, einer Sorgfaltspflicht unterliegt, die sich auf die Einhaltung der in dieser Vorschrift geregelten Voraussetzungen durch die nachgelagerten Benutzer bezieht.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte d'appello di Milano (Berufungsgericht Mailand, Italien) und vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidungen vom 15. und vom 2. Juni 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Juli und am 4. August 2016, in den Verfahren
Acacia Srl
gegen
Pneusgarda Srl, in Konkurs,
Audi AG (C-397/16)
und
Acacia Srl,
Rolando D'Amato
gegen
Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG (C-435/16)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič (Berichterstatter), des Richters A. Rosas, der Richterinnen C. Toader und A. Prechal sowie des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juni 2017,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Acacia Srl und von Herrn D'Amato, vertreten durch F. Munari, M. Esposito und A. Macchi, avvocati, sowie durch die Rechtsanwälte B. Schneiders, D. Treue und D. Thoma,
- der Audi AG, vertreten durch Rechtsanwalt G. Hasselblatt sowie durch M. Cartella und M. Locatelli, avvocati,
- der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG, vertreten durch Rechtsanwältin B. Ackermann und Rechtsanwalt C. Klawitter,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Santoro, S. Fiorentino und L. Cordi, avvocati dello Stato,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, M. Hellmann und J. Techert als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Segoin als Bevollmächtigten,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und H. Stergiou als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Samnadda, V. Di Bucci und T. Scharf als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. September 2017
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 110 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1).
Rz. 2
Sie ergehen im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten erstens zwischen der Acacia Srl auf der einen und der Pneusgarda Srl, in Konkurs, sowie der Audi AG auf der anderen Seite, zweitens zwischen Acacia und ihrem Geschäftsführer, Herrn Rolando D'Amato, auf der einen und der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG (im Folgenden: Porsche) auf der anderen Seite wegen des Vorwurfs, Acacia habe Gemeinschaftsgeschmacksmuster verletzt, deren Inhaberinnen Audi und Porsche seien.
Rechtlicher Rahmen
Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums
Rz. 3
Das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte de...