Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentliche Dienstleistungsaufträge. Dienstleistungen der Entsorgung von Bio- und Grünabfall. Vergabe ohne offene Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge
Beteiligte
Bundesrepublik Deutschland |
Tenor
1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 8 in Verbindung mit den Abschnitten III bis VI der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge verstoßen, dass die Stadt Bonn und die Müllverwertungsanlage Bonn GmbH einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag über die Entsorgung von Biomüll und Grünabfällen vergeben haben, ohne ein Vergabeverfahren mit europaweiter Ausschreibung durchzuführen.
2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 14. Januar 2009,
Europäische Kommission, vertreten durch B. Schima und C. Zadra als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch M. Lumma und B. Klein als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot (Berichterstatter) sowie der Richter C. W. A. Timmermans, K. Schiemann, P. Kūris und L. Bay Larsen,
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 8 in Verbindung mit den Abschnitten III bis VI der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1) verstoßen hat, dass die Stadt Bonn und die Müllverwertungsanlage Bonn GmbH (im Folgenden: MVA) einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag über die Entsorgung von Biomüll und Grünabfällen vergeben haben, ohne ein Vergabeverfahren mit europaweiter Ausschreibung durchzuführen.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 2
Nach Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 92/50
„gelten als ‚öffentliche Dienstleistungsaufträge’ die zwischen einem Dienstleistungserbringer und einem öffentlichen Auftraggeber geschlossenen schriftlichen entgeltlichen Verträge …”.
Rz. 3
Art. 8 dieser Richtlinie bestimmt:
„Aufträge, deren Gegenstand Dienstleistungen des Anhangs IA sind, werden nach den Vorschriften der Abschnitte III bis VI vergeben.”
Rz. 4
Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie sieht vor:
„Die Auftraggeber, die einen Dienstleistungsauftrag im Wege eines offenen, eines nicht offenen oder – in den in Artikel 11 genannten Fällen – eines Verhandlungsverfahrens vergeben wollen, teilen ihre Absicht durch Bekanntmachung mit.”
Rz. 5
Anhang IA („Dienstleistungen im Sinne von Artikel 8”) der Richtlinie 92/50 enthält u. a. die Kategorie 16 („Abfall- und Abwasserbeseitigung, sanitäre und ähnliche Dienstleistungen”), der die CPC-Referenznummer 94 entspricht.
Sachverhalt und Vorverfahren
Rz. 6
Am 26. März 1997 schlossen die Stadt Bonn und MVA, eine städtische Gesellschaft, deren Kapital von der Stadt Bonn gehalten wird, mit dem privaten Abfallentsorgungsunternehmen EVB Entsorgung und Verwertung Bonn GmbH & Co. KG (im Folgenden: EVB) einen Vertrag über Abfallentsorgungsleistungen. In diesem Vertrag verpflichtet sich EVB zum einen zur Beschaffung, Vorsortierung und Anlieferung von Hausmüll zur Entsorgung in der Anlage von MVA. EVB zahlt an MVA für die Entsorgung des von ihr angelieferten Hausmülls einen festen Preis. Zum anderen verpflichtet sich EVB, bis zu 15 000 Mg/Jahr Biomüll und bis zu 10 000 Mg/Jahr Grünabfälle aus dem Stadtgebiet Bonn in ihren Kompostierungsanlagen zu entsorgen. Für die Entsorgung von Biomüll und Grünabfällen zahlt die Stadt an die EVB einen Festpreis von 290 DM/Mg für Biomüll und 160 DM/Mg für Grünabfälle. Diese Preise unterliegen einer Anpassungsklausel.
Rz. 7
Mit Aufforderungsschreiben vom 23. März 2007 im Verfahren nach Art. 226 EG machte die Kommission der Bundesrepublik Deutschland gegenüber geltend, dass der Abschluss des Vertrags vom 26. März 1997 ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens mit europaweiter Ausschreibung gegen Art. 8 in Verbindung mit den Abschnitten III bis VI der Richtlinie 92/50 verstoßen haben könnte.
Rz. 8
Die Bundesrepublik Deutschland beantwortete dieses Aufforderungsschreiben mit Schreiben vom 18. Juli 2007. Dieses Antwortschreiben veranlasste die Kommission, am 1. Februar 2008 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an diesen Mitgliedstaat zu richten, in der sie ihn aufforderte, den gerügten Verstoß zu beenden. Die Bundesrepublik Deutschland beantwortete diese mit Gründen versehene Stellungnahme mit Schreiben vom 1. April 2008, ...