Entscheidungsstichwort (Thema)

Gebot der Anwendung der vorgeschriebenen Steuerbefreiungen ab 1.7.1984, Verbot der Einführung einer Stempelsteuer auf Erhöhung des Gesellschaftskapitals, Portugal

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Fall eines Staates, der, wie die Portugiesische Republik, den Europäischen Gemeinschaften zum 1. Januar 1986 beigetreten ist, ist Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in deren durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 geänderter Fassung, wenn die Akte über den Beitritt dieses Staates oder ein anderer Gemeinschaftsrechtsakt keine Ausnahmeregelung enthält, dahin auszulegen, dass die in diesem Artikel zwingend vorgeschriebene Steuerbefreiung für alle unter die Richtlinie 69/335 fallenden Vorgänge gilt, die in diesem Staat am 1. Juli 1984 von der Gesellschaftsteuer befreit waren oder einem ermäßigten Gesellschaftsteuersatz von 0,50 v. H. oder weniger unterlagen.

2. Die Art. 7 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 69/335 in deren durch die Richtlinie 85/303 geänderter Fassung verbieten es einem Staat, der, wie die Portugiesische Republik, den Europäischen Gemeinschaften zum 1. Januar 1986 beigetreten ist, nach dem 1. Januar 1986 eine Stempelsteuer auf eine unter diese Richtlinie fallende Erhöhung des Gesellschaftskapitals einzuführen, die am 1. Juli 1984 nach nationalem Recht von dieser Steuer befreit war.

 

Normenkette

EWGRL 335/69 Art. 7 Abs. 1, Art. 10

 

Beteiligte

Optimus - Telecomunicações

Optimus - Telecomunicações SA

Fazenda Pública

 

Verfahrensgang

Supremo Tribunal Administrativo (Portugal) (Urteil vom 06.07.2005; Abl.EU 2005, Nr. C 330/8)

 

Tatbestand

„Indirekte Steuern auf die Ansammlung von Kapital ‐ Richtlinie 69/335/EWG in der durch die Richtlinie 85/303/EWG geänderten Fassung ‐ Art. 7 Abs. 1 ‐ Gesellschaftsteuer ‐ Befreiung ‐ Voraussetzungen ‐ Lage am 1. Juli 1984“

In der Rechtssache C-366/05

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Supremo Tribunal Administrativo (Portugal) mit Entscheidung vom 6. Juli 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 29. September 2005, in dem Verfahren

Optimus ‐ Telecomunicações SA

gegen

Fazenda Pública,

Beteiligter:

Ministério Público,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters E. Juhász (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis und T. von Danwitz,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Oktober 2006,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

‐ der Optimus ‐ Telecomunicações SA, vertreten durch J. Vieira Peres und C. Botelho Moniz, advogados,

‐ der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes und S. Vasques sowie A. Ferreira als Bevollmächtigte,

‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und M. Afonso als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 25. Januar 2007

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in ihrer durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 geänderten Fassung (ABl. L 156, S. 23, im Folgenden: Richtlinie 69/335).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Optimus ‐ Telecomunicações SA (im Folgenden: Optimus) und den portugiesischen Steuerbehörden über die Zahlung einer „Stempelsteuer“ („imposto de selo“) genannten Abgabe, die auf eine Erhöhung des Gesellschaftskapitals durch Bareinlagen erhoben wird.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3

Ihrem ersten Erwägungsgrund zufolge bezweckt die Richtlinie 69/335 die Förderung des freien Kapitalverkehrs, der als eine für die Schaffung eines Binnenmarkts wesentliche Grundfreiheit angesehen wird. Dazu soll die Richtlinie, wie aus ihren Erwägungsgründen 6 bis 8 hervorgeht, eine Harmonisierung der Abgaben auf Kapitalzuführungen an Gesellschaften in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch die Einführung einer einheitlichen Steuer auf die Ansammlung von Kapital, die nur einmal innerhalb des Gemeinsamen Marktes erhoben werden kann, und durch die Aufhebung aller anderen indirekten Steuern mit den gleichen Merkmalen wie diese einheitliche Steuer herbeiführen.

4

Zu diesem Zweck sehen die Art. 1 bis 9 der Richtlinie 69/335 die Erhebung einer als „Gesellschaftsteuer“ bezeichneten harmonisierten Abgabe auf Kapitalzuführungen an Kapitalgesellschaften vor.

5

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 enthält eine Liste von Vorgängen, die die Mitgliedstaaten der Gesellschaftsteuer unterwerfen müssen. In Buchst. c dieser Liste ist die „Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art“ aufgeführt. Abs. 2 dieser Bestimmung enthält eine Liste von Vorgängen, die die Mitgliedsta...

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