Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundessozialgericht – Deutschland. Völkerrechtliche Verträge. Unmittelbare Wirkung. Arbeitnehmer. Stillhalteklausel des Artikels 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates. Anwendungsvoraussetzung. Rechtmäßiger Aufenthalt im Gebiet des Aufnahmemitgliedstaats. Assoziierungsabkommen EWG-Türkei. Freizügigkeit. Niederlassungsfreiheit. Stillhalteklauseln des Artikels 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls und des Artikels 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates. Tragweite
Leitsatz (amtlich)
1. Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen EWG-Türkei und Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80, der von dem durch dieses Abkommen geschaffenen Assoziationsrat erlassen wurde, die vorsehen, dass die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs auf der einen und der Freizügigkeit der Arbeitnehmer auf der anderen Seite einführen werden, sind dahin auszulegen, dass diesen beiden Bestimmungen in den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung zukommt, so dass die türkischen Staatsangehörigen, für die diese Bestimmungen gelten, sich vor den innerstaatlichen Gerichten auf sie berufen können, um die Anwendung entgegenstehender Vorschriften des innerstaatlichen Rechts auszuschließen.
(vgl. Randnrn. 58-59, 117 und Tenor)
2. Die Tragweite von Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziierungsrates EWG-Türkei, wonach die Vertragsparteien keine neuen Beschränkungen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer einführen dürfen, ist nicht auf bereits in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integrierte türkische Staatsangehörige beschränkt. Diese Bestimmung bezieht sich jedoch nur auf Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in [seinem] Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind”. Auf diese Stillhalteklausel kann sich ein türkischer Staatsangehöriger daher nur dann berufen, wenn er die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats auf dem Gebiet der Einreise, des Aufenthalts und gegebenenfalls der Beschäftigung beachtet hat und sich dementsprechend rechtmäßig im Hoheitsgebiet dieses Staates befindet. Die zuständigen nationalen Behörden sind daher auch nach dem Inkrafttreten des Beschlusses Nr. 1/80 berechtigt, die Maßnahmen zu verstärken, die gegenüber türkischen Staatsangehörigen getroffen werden können, die sich nicht in einer ordnungsgemäßen Situation befinden.
(vgl. Randnrn. 84-85)
3. Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen EWG-Türkei und Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80, der von dem durch dieses Abkommen geschaffenen Assoziationsrat erlassen wurde, die vorsehen, dass die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs auf der einen und der Freizügigkeit der Arbeitnehmer auf der anderen Seite einführen werden, sind dahin auszulegen, dass
- die genannten Bestimmungen ganz generell die Einführung neuer innerstaatlicher Beschränkungen des Niederlassungsrechts sowie des freien Dienstleistungsverkehrs und der Freizügigkeit der Arbeitnehmer von dem Zeitpunkt an verbieten, zu dem der Rechtsakt, zu dem diese Artikel gehören, im Aufnahmemitgliedstaat in Kraft getreten ist;
- Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 auf türkische Staatsangehörige nur dann anzuwenden ist, wenn diese sich im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht nur ordnungsgemäß, sondern auch während eines hinreichend langen Zeitraums aufhalten, um sich dort schrittweise integrieren zu können;
- Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls auf grenzüberschreitende Gütertransporte aus der Türkei auf der Straße anzuwenden ist, wenn Leistungen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erbracht werden;
- sich nicht nur Unternehmen mit Sitz in der Türkei, die Dienstleistungen in einem Mitgliedstaat erbringen, sondern auch die Beschäftigten solcher Unternehmen auf Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls berufen können, um sich gegen eine neue Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs zu wenden; ein Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat kann sich hierfür hingegen nicht auf diese Bestimmung berufen, wenn die Dienstleistungsempfänger im selben Mitgliedstaat ansässig sind;
- Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls es verbietet, im nationalen Recht eines Mitgliedstaats für die Erbringung von Dienstleistungen im Inland durch ein Unternehmen mit Sitz in der Türkei den Besitz einer Arbeitserlaubnis vorzuschreiben, wenn eine solche Arbeitserlaubnis nicht bereits beim Inkrafttreten dieses Zusatzprotokolls erforderlich war;
- es Sache der innerstaatlichen Gerichte ist, festzustellen, ob die auf türkische Staatsangehörige angewandten innerstaatlichen Regelungen weniger günstig sind als diejenigen, die beim Inkrafttreten dieses Zusatzprotokolls für sie galten.
(vgl. Randnr. 117 und Tenor)
Normenkette
Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabkommen EWG-Türkei Art. 41 Abs. 1; Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei Art...