Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Unionsmarke. Pflicht eines Unionsmarkengerichts, eine Anordnung zu treffen, mit der einem Dritten die Fortsetzung von Verletzungshandlungen verboten wird. Fehlen eines Antrags auf eine solche Anordnung. Begriff ‚besondere Gründe’, die einer solchen Anordnung entgegenstehen. Begriff ‚angemessene Entschädigung’ für Handlungen, die nach der Veröffentlichung einer Unionsmarkenanmeldung und vor der Veröffentlichung der Eintragung einer solchen Marke vorgenommen werden
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 207/2009 Art. 9 Abs. 3, Art. 102 Abs. 1
Beteiligte
Tenor
1. Art. 102 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke ist dahin auszulegen, dass er es einem Unionsmarkengericht nicht verwehrt, im Einklang mit bestimmten verfahrensrechtlichen Grundsätzen des innerstaatlichen Rechts mit der Begründung davon abzusehen, eine Anordnung zu treffen, mit der einem Dritten die Fortsetzung von Verletzungshandlungen verboten wird, dass der Inhaber der betreffenden Marke bei diesem Gericht keinen entsprechenden Antrag gestellt habe.
2. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 207/2009 ist dahin auszulegen, dass er es dem Inhaber einer Unionsmarke verwehrt, für Handlungen, die vor der Veröffentlichung der Markenanmeldung vorgenommen wurden, eine Entschädigung zu verlangen. Was von Dritten in dem Zeitraum nach der Veröffentlichung der Anmeldung der betreffenden Marke, aber vor der Veröffentlichung ihrer Eintragung vorgenommenen Handlungen betrifft, erfasst der Begriff „angemessene Entschädigung” in dieser Bestimmung die Herausgabe der von Dritten durch die Nutzung dieser Marke in dem genannten Zeitraum tatsächlich erzielten Gewinne. Hingegen schließt der Begriff „angemessene Entschädigung” den Ersatz des von dem Inhaber der betreffenden Marke möglicherweise erlittenen weiter gehenden Schadens aus, einschließlich eines etwaigen immateriellen Schadens.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Harju Maakohus (Gericht erster Instanz von Harju, Estland) mit Entscheidung vom 2. Juni 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Juni 2015, in dem Verfahren
Irina Nikolajeva
gegen
Multi Protect OÜ
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin C. Toader sowie der Richterin A. Prechal (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Multi Protect OÜ, vertreten durch U. Ustav und T. Pukk, vandeadvokaadid,
- der estnischen Regierung, vertreten durch K. Kraavi-Käerdi als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch K. Georgiadis als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Samnadda, E. Randvere und T. Scharf als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. April 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 3 und Art. 102 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Irina Nikolajeva und der Multi Protect OÜ wegen einer von Frau Nikolajeva gegen diese Gesellschaft erhobenen Klage wegen Verletzung einer Unionsmarke.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung Nr. 207/2009
Rz. 3
Art. 9 „Recht aus der Unionsmarke”) der Verordnung Nr. 207/2009 sieht vor:
„(1) Die Unionsmarke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht gestattet es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr
- ein mit der Unionsmarke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie eingetragen ist;
- ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder Ähnlichkeit des Zeichens mit der Unionsmarke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Unionsmarke und das Zeichen erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht; dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird;
…
(2) Sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt, so kann insbesondere verboten werden,
- das Zeichen auf Waren oder deren Aufmachung anzubringen;
- unter dem Zeichen Waren anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder unter dem Zeichen Dienstleistungen anzubieten oder zu erbringen;
- Waren unter dem Zeichen einzuführen oder auszuführen;
- das Zeichen in den Geschäftspapieren und in der Werbung zu benutzen.
(3) Das Recht aus der Unionsmarke kann Dritten erst nach der Veröffentlichung der Eintragung der Marke entgegengehalten werden. Jedoch kann eine angemessene Entschädigung für Handlungen verlangt werden, di...