Entscheidungsstichwort (Thema)
Marken. Richtlinie 89/104/EWG. Art. 9 Abs. 1. Begriff der Duldung. Verwirkung durch Duldung. Ausgangspunkt der Verwirkungsfrist. Notwendige Voraussetzungen für das Ingangsetzen der Verwirkungsfrist. Art. 4 Abs. 1 Buchst. a. Eintragung zweier identischer Marken, mit denen identische Waren gekennzeichnet werden. Funktionen der Marke. Redliche gleichzeitige Benutzung
Beteiligte
Budějovický Budvar, národní podnik |
Tenor
1. Die Duldung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist ein Begriff des Unionsrechts, und es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Inhaber einer älteren Marke eine langdauernde und gefestigte redliche Benutzung einer mit seiner Marke identischen Marke durch einen Dritten geduldet hat, wenn er von dieser Benutzung seit langem Kenntnis hatte, aber keine Möglichkeit hatte, sich ihr zu widersetzen.
2. Die Eintragung der älteren Marke im betreffenden Mitgliedstaat ist keine notwendige Voraussetzung für das Ingangsetzen der Frist für die Verwirkung durch Duldung gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 89/104. Die vom nationalen Richter zu prüfenden notwendigen Voraussetzungen für das Ingangsetzen dieser Frist sind erstens die Eintragung der jüngeren Marke im betreffenden Mitgliedstaat, zweitens Gutgläubigkeit bei der Anmeldung dieser Marke, drittens die Benutzung der jüngeren Marke durch deren Inhaber in dem Mitgliedstaat, in dem sie eingetragen worden ist, und viertens die Kenntnis des Inhabers der älteren Marke von der Eintragung der jüngeren Marke und von deren Benutzung nach ihrer Eintragung.
3. Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 89/104 ist dahin auszulegen, dass der Inhaber einer älteren Marke die Ungültigerklärung einer identischen jüngeren Marke, die identische Waren kennzeichnet, nicht erwirken kann, wenn diese beiden Marken über eine lange Zeit hinweg in redlicher Weise gleichzeitig benutzt worden sind, wenn unter Umständen wie denen des Ausgangsfalls diese Benutzung die Hauptfunktion der Marke, d. h. die Gewährleistung der Herkunft der Waren oder Dienstleistungen gegenüber den Verbrauchern, nicht beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 12. November 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 30. November 2009, in dem Verfahren
Budějovický Budvar, národní podnik
gegen
Anheuser-Busch Inc.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter M. Ilešič, E. Levits, M. Safjan (Berichterstatter) und der Richterin M. Berger,
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. November 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Budějovický Budvar, národní podnik, vertreten durch J. Mellor und S. Malynicz, Barristers, beauftragt durch M. Blair, Solicitor,
- der Anheuser-Busch Inc., vertreten durch Rechtsanwalt B. Goebel,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Ossowski als Bevollmächtigten,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes als Bevollmächtigten,
- der slowakischen Regierung, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Samnadda als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 3. Februar 2011
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und Art. 9 Abs. 1 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Budějovický Budvar, národní podnik (im Folgenden: Budvar), einer in České Budějovice (Tschechische Republik) ansässigen Brauerei, und der Anheuser-Busch Inc. (im Folgenden: Anheuser-Busch), einer Brauerei mit Sitz in Saint Louis (Vereinigte Staaten von Amerika), über die Marke Budweiser, deren Inhaber im Vereinigten Königreich beide Unternehmen seit dem 19. Mai 2000 sind.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 4 der Richtlinie 89/104 („Weitere Eintragungshindernisse oder Ungültigkeitsgründe bei Kollision mit älteren Rechten”) sah vor:
„(1) Eine Marke ist von der Eintragung ausgeschlossen oder unterliegt im Falle der Eintragung der Ungültigerklärung,
wenn sie mit einer älteren Marke identisch ist und die Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke angemeldet oder eingetragen worde...