Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Selbständige Handelsvertreter. Beendigung des Handelsvertretervertrags. Anspruch des Handelsvertreters auf einen Ausgleich. Voraussetzungen für die Gewährung. Der Billigkeit entsprechender Ausgleich. Beurteilung. Begriff ‚[die] dem Handelsvertreter entgehenden Provisionen‘. Provisionen aus künftigen Geschäften. Vom Handelsvertreter geworbene neue Kunden. Vorhandene Kunden, mit denen der Handelsvertreter die Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat. Einmalprovisionen
Normenkette
Richtlinie 86/653/EWG Art. 17 Abs. 2 Buchst. a
Beteiligte
Tenor
1.Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter
ist dahin auszulegen,
dass bei der Bestimmung des in diesem Art. 17 Abs. 2 vorgesehenen Ausgleichs jene Provisionen zu berücksichtigen sind, die der Handelsvertreter im Fall eines hypothetischen Fortbestands des Handelsvertretervertrags für Geschäfte erhalten hätte, die nach Beendigung des Handelsvertretervertrags mit neuen Kunden, die er für den Unternehmer vor dieser Beendigung geworben hat, oder mit Kunden, mit denen er die Geschäftsverbindungen vor dieser Beendigung wesentlich erweitert hat, abgeschlossen worden wären.
2.Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 86/653
ist dahin auszulegen,
dass die Zahlung von Einmalprovisionen nicht dazu führt, dass von der Berechnung des Ausgleichs nach Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 die Provisionen ausgeschlossen werden, die dem Handelsvertreter aus Geschäften entgehen, die der Unternehmer nach Beendigung des Handelsvertretervertrags mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter vor dieser Beendigung für den Unternehmer geworben hat, oder mit Kunden, mit denen der Handelsvertreter vor dieser Beendigung die Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat, abschließt, wenn diese Provisionen pauschalen Vergütungen für jeden neuen Vertrag entsprechen, der auf Vermittlung des Handelsvertreters mit diesen neuen Kunden oder mit vorhandenen Kunden des Unternehmers abgeschlossen wird.
Tatbestand
In der Rechtssache C-574/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší soud (Oberstes Gericht, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 29. Juni 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 20. September 2021, in dem Verfahren
QT
gegen
O2 Czech Republic a.s.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe (Berichterstatterin) sowie der Richter M. Safjan, N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec,
Generalanwältin: T. Ćapeta,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. September 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von QT, vertreten durch D. Rašovský, Advokát,
- – der O2 Czech Republic a.s., vertreten durch L. Duffek und M. Olík, Advokáti,
- – der tschechischen Regierung, vertreten durch T. Machovičová, O. Serdula, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- – der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, U. Bartl, J. Heitz und M. Hellmann als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Armati, M. Mataija und P. Němečková als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 24. November 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. 1986, L 382, S. 17).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen QT, einem Handelsvertreter, und der O2 Czech Republic a.s. wegen eines Antrags auf Entschädigung aufgrund der Beendigung des Handelsvertretervertrags zwischen QT und dieser Gesellschaft.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 2 und 3 der Richtlinie 86/653 lauten:
„Die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Handelsvertretungen beeinflussen die Wettbewerbsbedingungen und die Berufsausübung innerhalb der Gemeinschaft spürbar und beeinträchtigen den Umfang des Schutzes der Handelsvertreter in ihren Beziehungen zu ihren Unternehmen sowie die Sicherheit im Handelsverkehr. Diese Unterschiede erschweren im Übrigen auch erheblich den Abschluss und die Durchführung von Handelsvertreterverträgen zwischen einem Unternehmer und einem Handelsvertreter, die in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassen sind.
Der Warenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten muss unter Bedingungen erfolgen, die denen eines Binnenmarktes entsprechen, weswegen die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in dem zum guten Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlichen Umfang angeglichen werden müssen. Selbst vereinheitlichte Kollisions...