Entscheidungsstichwort (Thema)

Freizügigkeit. Richtlinie 2004/38/EG. Art. 16 Abs. 4 und Art. 28 Abs. 3 Buchst. a. Unionsbürger, der im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist und dort mehr als 30 Jahre gewohnt hat. Abwesenheiten vom Aufnahmemitgliedstaat. Strafrechtliche Verurteilungen. Ausweisungsverfügung. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit

 

Beteiligte

Tsakouridis

Land Baden-Württemberg

Panagiotis Tsakouridis

 

Tenor

1. Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ist dahin gehend auszulegen, dass für die Bestimmung, ob sich ein Unionsbürger in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisung im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, was das ausschlaggebende Kriterium für die Gewährung des verstärkten Schutzes nach dieser Vorschrift ist, alle im Einzelfall relevanten Umstände zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer jeder einzelnen Abwesenheit des Betroffenen vom Aufnahmemitgliedstaat, die Gesamtdauer und die Häufigkeit der Abwesenheiten sowie die Gründe, die ihn dazu veranlasst haben, diesen Mitgliedstaat zu verlassen, und anhand deren sich feststellen lässt, ob die entsprechenden Abwesenheiten bedeuten, dass sich der Mittelpunkt seiner persönlichen, familiären oder beruflichen Interessen in einen anderen Mitgliedstaat verlagert hat.

2. Für den Fall, dass das vorlegende Gericht zu dem Schluss kommt, dass dem betreffenden Unionsbürger der mit Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 gewährte Schutz zusteht, ist diese Vorschrift dahin gehend auszulegen, dass die Bekämpfung der mit dem bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln verbundenen Kriminalität unter den Ausdruck „zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit” fallen kann, mit denen eine Ausweisungsmaßnahme in Bezug auf einen Unionsbürger, der seinen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt hat, gerechtfertigt werden kann. Für den Fall, dass das vorlegende Gericht zu dem Schluss kommt, dass dem betreffenden Unionsbürger der mit Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 gewährte Schutz zusteht, ist diese Vorschrift dahin gehend auszulegen, dass die Bekämpfung der mit dem bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln verbundenen Kriminalität unter den Ausdruck „schwerwiegende Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit” fällt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Deutschland) mit Entscheidung vom 9. April 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 24. April 2009, in dem Verfahren

Land Baden-Württemberg

gegen

Panagiotis Tsakouridis

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter), K. Lenaerts, J.-C. Bonichot und D. Šváby, der Richter A. Rosas, J. Malenovský, U. Lõhmus, E. Levits, A. Ó Caoimh und L. Bay Larsen sowie der Richterin M. Berger,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. April 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • des Landes Baden-Württemberg, vertreten durch M. Schenk als Bevollmächtigten,
  • von Herrn Tsakouridis, vertreten durch Rechtsanwalt K. Frank,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma, J. Möller und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,
  • der dänischen Regierung, vertreten durch B. Weis Fogh als Bevollmächtigte,
  • der estnischen Regierung, vertreten durch L. Uibo als Bevollmächtigten,
  • der ungarischen Regierung, vertreten durch R. Somssich, M. Fehér und K. Veres als Bevollmächtigte,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L. Seeboruth und I. Rao als Bevollmächtigte im Beistand von K. Beal, Barrister,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Maidani und S. Grünheid als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. Juni 2010

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 16 Abs. 4 und Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/...

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