Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Eilvorabentscheidungsverfahren. Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Europäischer Haftbefehl. Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten. Vollstreckungsvoraussetzungen. Gründe, aus denen die Vollstreckung abgelehnt werden kann. Ausnahmen. Verpflichtung zur Vollstreckung. In Abwesenheit verhängte Strafe. Begriffe ‚persönliche Vorladung’ und ‚offizielle Zustellung auf andere Weise’. Autonome Begriffe des Unionsrechts

 

Normenkette

Rahmenbeschluss 2002/584 Art. 4a Abs. 1

 

Beteiligte

Dworzecki

Paweł Dworzecki

 

Tenor

1. Art. 4a Abs. 1 Buchst. a Ziff. i des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass es sich bei den dort verwendeten Wendungen „persönlich vorgeladen” und „auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort dieser Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde, und zwar auf eine Weise, dass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass sie von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte”, um autonome Begriffe des Unionsrechts handelt, die in der gesamten Union einheitlich auszulegen sind.

2. Art. 4a Abs. 1 Buchst. a Ziff. i des Rahmenbeschlusses 2002/584 in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine Vorladung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die nicht dem Betroffenen selbst zugestellt, sondern an dessen Anschrift einem dort wohnenden Erwachsenen übergeben wurde, der sich verpflichtete, sie dem Betroffenen auszuhändigen, ohne dass sich dem Europäischen Haftbefehl entnehmen lässt, ob und gegebenenfalls wann er sie dem Betroffenen tatsächlich ausgehändigt hat, die in der genannten Bestimmung aufgestellten Voraussetzungen für sich genommen nicht erfüllt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam, Niederlande) mit Entscheidung vom 24. Februar 2016, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, in dem Verfahren wegen der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gegen

Paweł Dworzecki

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter) sowie der Richter A. Arabadjiev, C. Lycourgos, E. Juhász und C. Vajda,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. April 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Paweł Dworzecki, vertreten durch J. Dobosz und A. de Boon, advocaten,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman, M. Noort und B. Koopman als Bevollmächtigte,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch J. Sawicka und M. Pawlicka als Bevollmächtigte,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch V. Kaye als Bevollmächtigte im Beistand von J. Holmes, Barrister,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Troosters und S. Grünheid als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Mai 2016

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl. 2009, L 81, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenbeschluss 2002/584).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens wegen der Vollstreckung eines vom Sąd Okręgowy w Zielonej Górze (Bezirksgericht Zielona Góra, Polen) gegen Herrn Paweł Dworzecki erlassenen Europäischen Haftbefehls in den Niederlanden.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 5 und 7 des Rahmenbeschlusses 2002/584 heißt es:

„(5) … Die Einführung eines neuen, vereinfachten Systems der Übergabe von Personen, die einer Straftat verdächtigt werden oder wegen einer Straftat verurteilt worden sind, für die Zwecke der strafrechtlichen Verfolgung oder der Vollstreckung strafrechtlicher Urteile ermöglicht … die Beseitigung der Komplexität und der Verzögerungsrisiken, die den derzeitigen Auslieferungsverfahren innewohnen. …

(7) Da das Ziel der Ersetzung des auf dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 beruhenden multilateralen Auslieferungssystems von den Mitgliedstaaten durch einseitiges Vorgehen nicht ausreichend erreicht werden kann und daher wegen seines Umfangs und seiner Wirkungen besser auf Unionsebene zu erreichen ist, kann der Rat gemäß dem Subsidiaritätsprinzip nach Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union und Artikel 5 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Maßnahmen erlassen. Entsprechend dem Verhältnis...

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