Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Gemeinsame Politik im Bereich Asyl und subsidiärer Schutz. Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz. Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling. Personen, die beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) registriert sind. Vorliegen eines ‚ersten Asylstaats’ im Einsatzgebiet des UNRWA für einen Palästinaflüchtling. Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung des internationalen Schutzes. Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Umfassende Ex-nunc-Prüfung. Umfang der Befugnisse des erstinstanzlichen Gerichts. Prüfung des Bedürfnisses nach internationalem Schutz durch das Gericht. Prüfung von Unzulässigkeitsgründen
Normenkette
Richtlinie 2011/95/EU Art. 12; Richtlinie 2013/32/EU Art. 46
Beteiligte
Zamestnik-predsedatel na Darzhavna agentsia za bezhantsite |
Tenor
1. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes dahin auszulegen, dass die Bearbeitung eines Antrags auf internationalen Schutz einer beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) registrierten Person die Prüfung der Frage erfordert, ob diese Organisation ihr tatsächlich Schutz oder Beistand gewährt, sofern der Antrag nicht zuvor auf der Grundlage eines Unzulässigkeitsgrundes oder eines anderen als des in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2011/95 genannten Ausschlussgrundes abgelehnt wurde.
2. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes und Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 sind dahin auszulegen,
- dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, die den in den genannten Richtlinienbestimmungen enthaltenen Grund für die Beendigung der Anwendung des Grundes für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling nicht vorsehen oder ihn unzulänglich umsetzen,
- dass sie unmittelbare Wirkung haben und
- dass sie selbst dann angewandt werden können, wenn die Person, die internationalen Schutz beantragt, nicht ausdrücklich auf sie Bezug genommen hat.
3. Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 ist in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass das im ersten Rechtszug mit einer Klage gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz befasste Gericht eines Mitgliedstaats sowohl die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte wie die Anwendbarkeit von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 auf die Situation des Antragstellers, die von dem die Entscheidung erlassenden Organ berücksichtigt wurden oder hätten berücksichtigt werden können, als auch die nach Erlass der Entscheidung aufgetretenen Gesichtspunkte zu prüfen hat.
4. Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 ist in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen, dass das Erfordernis einer umfassendenEx-nunc-Prüfung, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt, auch die in Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie genannten Gründe für die Unzulässigkeit des Antrags auf internationalen Schutz umfassen kann, wenn das nationale Recht dies erlaubt, und dass das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht, wenn es die Prüfung eines Unzulässigkeitsgrundes in Betracht zieht, der von der Asylbehörde nicht geprüft wurde, den Antragsteller anhören muss, damit er in einer Sprache, die er beherrscht, persönlich zur Anwendbarkeit des Unzulässigkeitsgrundes auf seine besondere Situation Stellung nehmen kann.
5. Art. 35 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 ist dahin auszulegen, dass im Fall einer beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) registrierten Person, der von dieser Organisation in einem Drittstaat, der nicht dem Gebiet entspricht, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, aber zum Einsatzgebiet der Organisation gehört, tatsächlich Schutz oder Beistand gewährt wird, davon auszugehen ist, dass ihr in diesem Drittstaat ausreichender Schutz im Sinne der genannten Bestimmung gewährt wird, sofern der Drittstaat
- sich verpflichtet, den Betroffenen wieder aufzunehmen, nachdem dieser sein ...