Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialpolitik. Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer. Richtlinien 93/104/EG und 2003/88/EG. Arbeitszeitgestaltung. Im öffentlichen Sektor beschäftigte Feuerwehrleute. Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88/EG. Wöchentliche Höchstarbeitszeit. Überschreitung. Ersatz des Schadens, der durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht entstanden ist. Voraussetzungen, denen ein Ersatzanspruch unterliegt. Verfahrensmodalitäten. Verpflichtung, zuvor einen Antrag beim Arbeitgeber zu stellen. Form und Umfang der Ersatzleistung. Freizeitausgleich oder Entschädigung. Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität
Beteiligte
Tenor
1. Ein Arbeitnehmer, der, wie im Ausgangsverfahren Herr Fuß, als Feuerwehrmann in einem zum öffentlichen Sektor gehörenden Einsatzdienst beschäftigt ist und als solcher eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit abgeleistet hat, die die in Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vorgesehene wöchentliche Höchstarbeitszeit überschreitet, kann sich auf das Unionsrecht berufen, um die Haftung der Behörden des betreffenden Mitgliedstaats auszulösen und Ersatz des Schadens zu erlangen, der ihm durch den Verstoß gegen diese Bestimmung entstanden ist.
2. Das Unionsrecht steht einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegen,
- die – was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist – den Anspruch eines im öffentlichen Sektor beschäftigten Arbeitnehmers auf Ersatz des Schadens, der ihm durch den Verstoß der Behörden des betreffenden Mitgliedstaats gegen eine Vorschrift des Unionsrechts, im vorliegenden Fall Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88, entstanden ist, von einer an den Verschuldensbegriff geknüpften Voraussetzung abhängig macht, die über die der hinreichend qualifizierten Verletzung des Unionsrechts hinausgeht, und
- die den Anspruch eines im öffentlichen Sektor beschäftigten Arbeitnehmers auf Ersatz des Schadens, der ihm durch den Verstoß der Behörden des betreffenden Mitgliedstaats gegen Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88 entstanden ist, davon abhängig macht, dass zuvor ein Antrag auf Einhaltung dieser Bestimmung bei seinem Arbeitgeber gestellt wurde.
3. Der von den Behörden der Mitgliedstaaten zu leistende Ersatz des Schadens, den sie Einzelnen durch Verstöße gegen das Unionsrecht zugefügt haben, muss dem erlittenen Schaden angemessen sein. In Ermangelung von Unionsvorschriften auf diesem Gebiet ist es Sache des nationalen Rechts des betreffenden Mitgliedstaats, unter Beachtung des Äquivalenz- und des Effektivitätsgrundsatzes zu bestimmen, ob der Ersatz des Schadens, der einem Arbeitnehmer wie im Ausgangsverfahren Herrn Fuß durch den Verstoß gegen eine Vorschrift des Unionsrechts entstanden ist, diesem Arbeitnehmer in Form von Freizeitausgleich oder in Form einer finanziellen Entschädigung zu gewähren ist, und die Regeln für die Art und Weise der Berechnung der Anspruchshöhe festzulegen. Die in den Art. 16 bis 19 der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Bezugszeiträume sind in diesem Zusammenhang nicht relevant.
4. Die Antworten auf die Fragen des vorlegenden Gerichts sind identisch, unabhängig davon, ob der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens unter die Bestimmungen der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung in der durch die Richtlinie 2000/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 2000 geänderten Fassung oder die der Richtlinie 2003/88 fällt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgericht Halle (Deutschland) mit Entscheidung vom 30. September 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Oktober 2009, in dem Verfahren
Günter Fuß
gegen
Stadt Halle
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues sowie der Richter A. Arabadjiev, A. Rosas, U. Løhmus und A. Ó Caoimh (Berichterstatter),
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. September 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Fuß, vertreten durch Rechtsanwalt M. Geißler,
- der Stadt Halle, vertreten durch Rechtsanwalt T. Brümmer,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz und M. van Beek als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 307, S. 18) in der durch die Richtlinie 2000/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Ju...