Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger. Einreiseverbot, das vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie verhängt wurde und länger dauert, als von dieser Richtlinie vorgesehen. Anfangszeitpunkt der Dauer eines Einreiseverbots
Normenkette
Richtlinie 2008/115/EG Art. 11 Abs. 2
Beteiligte
Tenor
Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist dahin auslegen, dass die darin vorgesehene Dauer eines Einreiseverbots, die grundsätzlich nicht fünf Jahre überschreitet, ab dem Zeitpunkt zu berechnen ist, zu dem der Betroffene tatsächlich das Territorium der Mitgliedstaaten verlassen hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) mit Entscheidung vom 29. März 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 22. April 2016, in dem Strafverfahren gegen
Mossa Ouhrami
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič (Berichterstatter), des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Zweiten Kammer, der Richterinnen A. Prechal und C. Toader sowie des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2017,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Ouhrami, vertreten durch S. J. van der Woude, advocaat,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. S. Schillemans, M. Gijzen und M. Bulterman als Bevollmächtigte,
- der dänischen Regierung, vertreten durch C. Thorning und M. Wolff als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und R. Troosters als Bevollmächtigte,
- der schweizerischen Regierung, vertreten durch C. Bichet als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 18. Mai 2017
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Mossa Ouhrami, geboren 1979 in Algerien und vermutlich algerischer Staatsangehörigkeit, wegen seines Aufenthalts in den Niederlanden während der Jahre 2011 und 2012 in Kenntnis der Tatsache, dass er aufgrund einer Entscheidung aus dem Jahr 2002 zu einem unerwünschten Ausländer erklärt worden war.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 2, 4, 6, 10, 11 und 14 der Richtlinie 2008/115 heißt es:
„(2) Auf seiner Tagung am 4. und 5. November 2004 in Brüssel forderte der Europäische Rat zur Festlegung einer wirksamen Rückkehr- und Rückübernahmepolitik auf, die auf gemeinsamen Normen beruht, die gewährleisten, dass die betreffenden Personen unter vollständiger Achtung der Grundrechte auf menschenwürdige Weise zurückgeführt werden.
…
(4) Eine wirksame Rückkehrpolitik als notwendiger Bestandteil einer gut geregelten Migrationspolitik muss mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften unterlegt werden.
…
(6) Die Mitgliedstaaten sollten gewährleisten, dass der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Wege eines fairen und transparenten Verfahrens beendet wird. Im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen des EU-Rechts sollten Entscheidungen gemäß dieser Richtlinie auf Grundlage des Einzelfalls und anhand objektiver Kriterien getroffen werden, was bedeutet, dass die Erwägungen über den bloßen Tatbestand des illegalen Aufenthalts hinausreichen sollten. Wenn die Mitgliedstaaten Standardformulare für Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr (nämlich Rückkehrentscheidungen sowie – gegebenenfalls – Entscheidungen über ein Einreiseverbot oder eine Abschiebung) verwenden, sollten sie diesen Grundsatz wahren und alle anwendbaren Bestimmungen dieser Richtlinie strikt beachten.
…
(10) Besteht keine Veranlassung zu der Annahme, dass das Rückkehrverfahren dadurch gefährdet wird, ist die freiwillige Rückkehr der Rückführung vorzuziehen, wobei eine Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt werden sollte. …
(11) Um die Interessen der Betroffenen wirksam zu schützen, sollte für Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr eine Reihe gemeinsamer rechtlicher Mindestgarantien gelten. …
…
(14) Die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen sollte durch die Einführung eines Einreiseverbots, das die Einreise in das Hoheitsgebiet sämtlicher Mitgliedstaaten und den dortigen Aufenthalt verbietet, europäischen Zuschnitt erhalten. Die Dauer des Ein...