Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsangleichung. Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften. Technische Vorschriften und Spezifikationen. Nationale Regelung über die Etikettierung. Einbeziehung (Richtlinie 83/189 des Rates, Artikel 1 Nr. 2). Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Wahrung der Aussetzungsfrist für eine technische Vorschrift. Möglichkeit für den Einzelnen, sich auf die entsprechenden Bestimmungen zu berufen. Verstoß gegen die Verpflichtung. Folge. Unanwendbarkeit der betreffenden unter Verstoß gegen diese Verpflichtung erlassenen technischen Vorschrift (Richtlinie 83/189 des Rates, Artikel 8 und 9)
Leitsatz (amtlich)
1. Nationale Vorschriften, die eine Spezifikation enthalten, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale für Erzeugnisse vorschreibt, einschließlich der Vorschriften über die Beschriftung des Erzeugnisses, stellen unabhängig von den Gründen, die für ihren Erlass maßgebend waren, technische Spezifikationen im Sinne des Artikels 1 Nummer 2 der Richtlinie 83/189 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften dar (Randnr. 25).
2. Die Unanwendbarkeit einer technischen Vorschrift als Rechtsfolge der Nichtbeachtung der Mitteilungspflicht gemäß Artikel 8 der Richtlinie 83/189 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften kann in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen geltend gemacht werden. Das Gleiche gilt für die Nichteinhaltung der Aussetzungsfrist für eine technische Vorschrift gemäß Artikel 9 dieser Richtlinie. Zwar kann eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen Einzelner begründen und daher nicht als solche ihnen gegenüber herangezogen werden; diese Rechtsprechung gilt jedoch nicht in Rechtsstreitigkeiten zwischen Einzelnen, in denen die Nichtbeachtung der Artikel 8 oder 9 der Richtlinie 83/189, die einen wesentlichen Verfahrensfehler darstellt, die Unanwendbarkeit der unter Verstoß gegen einen dieser Artikel erlassenen technischen Vorschrift nach sich zieht.
3. In einem solchen Rechtsstreit legt die Richtlinie 83/189, die weder Rechte noch Pflichten für Einzelne begründet, nämlich keineswegs den materiellen Inhalt der Rechtsnorm fest, auf deren Grundlage das nationale Gericht den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden hat. Dementsprechend muss das nationale Gericht in einem Zivilrechtsstreit zwischen Einzelnen über vertragliche Rechte und Pflichten die Anwendung einer nationalen technischen Vorschrift ablehnen, die während einer Aussetzungsfrist nach Artikel 9 der Richtlinie 83/189 erlassen worden ist.
(Randnrn. 49-52 und Tenor)
Beteiligte
Tenor
Das nationale Gericht muss in einem Zivilrechtsstreit zwischen Einzelnen über vertragliche Rechte und Pflichten die Anwendung einer nationalen technischen Vorschrift ablehnen, die während einer Aussetzungsfrist nach Artikel 9 der Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften in der Fassung der Richtlinie 94/10/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. März 1994 zur zweiten wesentlichen Änderung der Richtlinie 83/189 erlassen worden ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
C-443/98
...
erlässt
der Gerichtshof
folgendes
Urteil:
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Der Pretore von Mailand hat mit Beschluss vom 6. November 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Dezember 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl. L 109, S. 8) in der Fassung der Richtlinie 94/10/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. März 1994 zur zweiten wesentlichen Änderung der Richtlinie 83/189 (ABl. L 100, S. 30; im Folgenden: Richtlinie 83/189) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Rz. 2
Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Unilever Italia SpA (im Folgenden: Unilever) und der Central Food SpA (im Folgenden: Central Food) über die Bezahlung einer von Unilever vorgenommenen Lieferung von Olivenöl durch Central Food.
Das Gemeinschaftsrecht
Rz. 3
Artikel 1 Nummern 1, 2 und 9 der Richtlinie 83/189 bestimmt:
"Für diese Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:
- Erzeugnis: alle Erzeugnisse, die gewerblich hergestellt werden sowie alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse.
- Technische Spezifikation: Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale für ein Erzeugnis vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Vorschriften über Verkaufsbezeichnung, Terminologie, Symbole, Prüfungen und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung des Erzeugnisses sowie über Konformitätsbewertungsverfahren.
Unter den Begriff ‚technische Spezifikation’ fallen ferner die Herstellungsmethoden und -verfahren für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse gemäß A...