Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft. Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn. Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur. Richtlinien 91/440/EWG und 2001/14/EG. Unvollständige Umsetzung
Beteiligte
Tenor
1. Ungarn hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 und 2 und Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur in der durch die Richtlinie 2007/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 geänderten Fassung verstoßen, dass es innerhalb der vorgeschriebenen Frist nicht sämtliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, die erforderlich sind, um den genannten Bestimmungen nachzukommen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Europäische Kommission und Ungarn tragen ihre eigenen Kosten.
4. Die Tschechische Republik und die Republik Polen tragen ihre eigenen Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 29. September 2010,
Europäische Kommission, vertreten durch H. Støvlbæk, B. Simon und A. Sipos als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Ungarn, vertreten durch M. Fehér, G. Koós und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,
Beklagter,
unterstützt durch
Tschechische Republik, vertreten durch M. Smolek, T. Müller und J. Očková als Bevollmächtigte,
Republik Polen, vertreten durch M. Szpunar, B. Majczyna und M. Laszuk als Bevollmächtigte,
Streithelferinnen,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter A. Borg Barthet (Berichterstatter), E. Levits und J.-J. Kasel sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. Mai 2012,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. September 2012
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrer Klageschrift beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass Ungarn dadurch gegen seine Verpflichtungen
- aus Art. 6 Abs. 3 und Anhang II der Richtlinie 91/440/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft (ABl. L 237, S. 25) in der durch die Richtlinie 2006/103/EG des Rates vom 20. November 2006 (ABl. L 363, S. 344) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 91/440) und
- aus den Art. 4 Abs. 2 und 14 Abs. 2, 6 Abs. 1 und 2, 7 Abs. 3, 8 Abs. 1 und 11 der Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur (ABl. L 75, S. 29) in der durch die Richtlinie 2007/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 (ABl. L 315, S. 44) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/14)
verstoßen hat, dass es nicht alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, die erforderlich sind, um diesen Bestimmungen nachzukommen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 2
Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Funktionen nach Anhang II, die für einen gerechten und nichtdiskriminierenden Zugang zur Infrastruktur ausschlaggebend sind, an Stellen oder Unternehmen übertragen werden, die selbst keine Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen. Ungeachtet der Organisationsstrukturen ist der Nachweis zu erbringen, dass dieses Ziel erreicht worden ist.
Die Mitgliedstaaten können jedoch Eisenbahnunternehmen oder jeder anderen Stelle die Erhebung von Entgelten und die Verantwortung für die Verwaltung der Eisenbahninfrastruktur übertragen, wozu Investitionen, Wartung und Finanzierung gehören.”
Rz. 3
Das in Anhang II der Richtlinie 91/440 enthaltene Verzeichnis der wesentlichen Funktionen im Sinne ihres Art. 6 Abs. 3 lautet:
- „Vorarbeiten und Entscheidungen über die Zulassung von Eisenbahnunternehmen, einschließlich der Gewährung einzelner Genehmigungen;
- Entscheidungen über die Trassenzuweisung, einschließlich sowohl der Bestimmung als auch der Beurteilung der Verfügbarkeit und der Zuweisung von einzelnen Zugtrassen;
- Entscheidungen über die Wegeentgelte;
- Überwachung der Einhaltung von Verpflichtungen zur Bereitstellung bestimmter Dienstleistungen für die Allgemeinheit.”
Rz. 4
Die Erwägungsgründe 11, 15 und 20 der Richtlinie 2001/14 lauten:
„(11) Bei den Entgelt- und Kapazitätszuweisungsregelungen sollte allen Unternehmen ein gleicher und nichtdiskriminierender Zugang geboten werden und soweit wie möglich angestrebt werden, den Bedürfnissen aller Nutzer und Verkehrsarten gerecht und in nichtdiskriminierender Weise zu entsprechen.
…
(15) ...