Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Haftung der Mitgliedstaaten für Schäden, die Einzelnen durch Verstöße gegen das Unionsrecht entstanden sind. Dem nationalen Gesetzgeber zuzurechnender Verstoß gegen das Unionsrecht. Dem nationalen Gesetzgeber zuzurechnender Verstoß gegen die Verfassung eines Mitgliedstaats. Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität

 

Beteiligte

Kommission/ Spanien

Europäische Kommission

Königreich Spanien

 

Tenor

1. Das Königreich Spanien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem Grundsatz der Effektivität verstoßen, dass es Art. 32 Abs. 3 bis 6 und Art. 34 Abs. 1 Unterabs. 2 der Ley 40/2015 de Régimen Jurídico del Sector Público (Gesetz 40/2015 über die rechtliche Regelung des öffentlichen Sektors) vom 1. Oktober 2015 sowie Art. 67 Abs. 1 Unterabs. 3 der Ley 39/2015 del Procedimiento Administrativo Común de las Administraciones Públicas (Gesetz 39/2015 über das allgemeine Verwaltungsverfahren der öffentlichen Verwaltung) vom 1. Oktober 2015 erlassen und beibehalten hat, soweit diese Bestimmungen den Ersatz von Schäden, die Einzelnen durch einen Verstoß des spanischen Gesetzgebers gegen das Unionsrecht entstanden sind, knüpfen an

  • die Voraussetzung, dass eine Entscheidung des Gerichtshofs vorliegt, mit der die Unvereinbarkeit der angewandten gesetzlichen Vorschrift mit dem Unionsrecht festgestellt wird;
  • die Voraussetzung, dass der Geschädigte bei irgendeiner Instanz eine endgültige Entscheidung erlangt hat, mit der eine Klage gegen die Verwaltungshandlung, die den Schaden verursacht hat, abgewiesen wurde, ohne Ausnahmen für die Fälle vorzusehen, in denen sich der Schaden unmittelbar aus einer unionsrechtswidrigen Handlung oder Unterlassung des Gesetzgebers ergibt, ohne dass eine anfechtbare Verwaltungshandlung vorläge;
  • eine Verjährungsfrist von einem Jahr ab der Veröffentlichung der Entscheidung des Gerichtshofs, mit der die Unvereinbarkeit der angewandten gesetzlichen Vorschrift mit dem Unionsrecht festgestellt wird, imAmtsblatt der Europäischen Union,so dass nur die Fälle erfasst werden, in denen eine solche Entscheidung vorliegt, und
  • die Voraussetzung, dass nur Schäden ersetzt werden können, die innerhalb von fünf Jahren vor dem Zeitpunkt dieser Veröffentlichung entstanden sind, sofern in dieser Entscheidung nichts anderes bestimmt ist.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Europäische Kommission und das Königreich Spanien tragen ihre eigenen Kosten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 24. Juni 2020,

Europäische Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz, I. Martínez del Peral und P. Van Nuffel als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Königreich Spanien, vertreten durch L. Aguilera Ruiz, S. Centeno Huerta, A. Gavela Llopis und J. Rodríguez de la Rúa Puig als Bevollmächtigte,

Beklagter,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos, E. Regan, S. Rodin, I. Jarukaitis (Berichterstatter) und J. Passer, der Richter M. Ilešič, J.-C. Bonichot, M. Safjan, F. Biltgen, P. G. Xuereb und N. Piçarra sowie der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. September 2021,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Dezember 2021

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass das Königreich Spanien dadurch gegen seine ihm nach den Grundsätzen der Effektivität und der Äquivalenz obliegenden Pflichten verstoßen hat, dass es Art. 32 Abs. 3 bis 6 und Art. 34 Abs. 1 Unterabs. 2 der Ley 40/2015 de Régimen Jurídico del Sector Público (Gesetz 40/2015 über die rechtliche Regelung des öffentlichen Sektors) vom 1. Oktober 2015 (BOE Nr. 236 vom 2. Oktober 2015, S. 89411, im Folgenden: Gesetz 40/2015) sowie Art. 67 Abs. 1 Unterabs. 3 der Ley 39/2015 del Procedimiento Administrativo Común de las Administraciones Públicas (Gesetz 39/2015 über das allgemeine Verwaltungsverfahren der öffentlichen Verwaltung) vom 1. Oktober 2015 (BOE Nr. 236 vom 2. Oktober 2015, S. 89343, im Folgenden: Gesetz 39/2015) erlassen und beibehalten hat.

I. Spanisches Recht

A. Verfassung

Rz. 2

Die spanische Verfassung (im Folgenden: Verfassung) sieht in Art. 106 Abs. 2 vor, dass „Privatpersonen … gemäß den Gesetzesbestimmungen, außer in Fällen höherer Gewalt, das Recht auf Entschädigung eines jeden Schadens [haben], der ihren Gütern und Rechten zugefügt wird, vorausgesetzt, dass der Schaden Folge der Tätigkeit der öffentlichen Dienste ist”.

B. Organgesetz 6/1985

Rz. 3

Die Ley orgánica 6/1985 del Poder Judicial (Organgesetz 6/1985 über die Justiz) vom 1. Juli 1985 (BOE Nr. 157 vom 2. Juli 1985, S. 20632) in der durch das Organgesetz 7/2015 vom 21. Juli 2015 (BOE Nr. 174 vom 22. Juli 2...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge