Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtlinie 2005/85/EG. Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft. Begriff ‚Entscheidung über [den] Asylantrag’ im Sinne von Art. 39 dieser Richtlinie. Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Nichtvorliegen der Gründe für die Gewährung internationalen Schutzes. Ablehnung des Antrags im beschleunigten Verfahren. Kein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, über den Antrag in einem beschleunigten Verfahren zu entscheiden. Recht auf effektive gerichtliche Kontrolle
Beteiligte
Ministre du Travail, de l'Emploi et de l'Immigration |
Tenor
Art. 39 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegenstehen, nach der gegen die Entscheidung der zuständigen nationalen Stelle, einen Asylantrag im beschleunigten Verfahren zu prüfen, kein selbständiger Rechtsbehelf eingelegt werden kann, sofern die Gründe, die diese Stelle dazu bewogen haben, die Begründetheit des Asylantrags im beschleunigten Verfahren zu prüfen, im Rahmen des Rechtsbehelfs gegen die endgültige abschlägige Entscheidung tatsächlich einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden können; es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies der Fall ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal administratif (Luxemburg) mit Entscheidung vom 3. Februar 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Februar 2010, in dem Verfahren
Brahim Samba Diouf
gegen
Ministre du Travail, de l'Emploi et de l'Immigration
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues sowie der Richter A. Arabadjiev, A. Rosas (Berichterstatter), U. Lõhmus und A. Ó Caoimh,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Samba Diouf, vertreten durch O. Lang und G. Gros, avocats,
- der luxemburgischen Regierung, vertreten durch C. Schiltz als Bevollmächtigten,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch M. Michelogiannaki als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 1. März 2011
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 39 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326, S. 13, berichtigt im ABl. 2006, L 236, S. 36).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Samba Diouf, einem illegal aufhältigen mauretanischen Staatsangehörigen, und dem luxemburgischen Ministre du Travail, de l'Emploi et de l'Immigration (Minister für Arbeit, Beschäftigung und Zuwanderung) über die im beschleunigten Verfahren ergangene Ablehnung seines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen Nichtvorliegens der Gründe für die Gewährung internationalen Schutzes.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Charta der Grundrechte der Europäischen Union
Rz. 3
Art. 47 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht”) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bestimmt:
„Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.
Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.
…”
Richtlinie 2005/85
Rz. 4
Der elfte Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/85 lautet:
„Es liegt im Interesse sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Asylbewerber, dass über Asylanträge so rasch wie möglich entschieden wird. Die Organisation der Bearbeitung von Asylanträgen sollte dem freien Ermessen der Mitgliedstaaten überlassen bleiben, so dass sie gemäß den nationalen Erfordernissen unter Berücksichtigung der in dieser Richtlinie enthaltenen Normen Anträge vorrangig oder beschleunigt bearbeiten können.”
Rz. 5
Satz 1 des 13. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie lautet:
„Im Interesse einer ordnungsgemäßen Ermittlung de...