Entscheidungsstichwort (Thema)

Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Rahmenbeschluss 2002/584/JI. Europäischer Haftbefehl und Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten. Zur Strafverfolgung ausgestellter Europäischer Haftbefehl. Gründe für die Ablehnung der Vollstreckung

 

Beteiligte

Radu

Ciprian Vasile Radu

 

Tenor

Der Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die vollstreckenden Justizbehörden die Vollstreckung eines zur Strafverfolgung ausgestellten Europäischen Haftbefehls nicht mit der Begründung ablehnen können, dass die gesuchte Person vor der Ausstellung dieses Haftbefehls im Ausstellungsmitgliedstaat nicht angehört wurde.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curte de Apel Constanţa (Rumänien) mit Entscheidung vom 18. Mai 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Juli 2011, in dem Verfahren betreffend die Vollstreckung Europäischer Haftbefehle gegen

Ciprian Vasile Radu

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten L. Bay Larsen und A. Rosas, der Kammerpräsidentin M. Berger und des Kammerpräsidenten E. Jarašiūnas, der Richter E. Juhász, A. Ó Caoimh (Berichterstatter) und J.-C. Bonichot, der Richterin A. Prechal und des Richters C. G. Fernlund,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juli 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Radu, vertreten durch C. Cojocaru und T. Chiuariu, avocaţi,
  • des Ministerul Public, Parchetul de pe lângă Curtea de Apel Constanţa, vertreten durch E. C. Grecu, procuror general,
  • der rumänischen Regierung, vertreten durch R.-M. Giurescu, A. Voicu und R. Radu als Bevollmächtigte,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Kemper und T. Henze als Bevollmächtigte,
  • der litauischen Regierung, vertreten durch R. Mačkevicienė und A. Svinkūnaitė als Bevollmächtigte,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar als Bevollmächtigten,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Murrel als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Bouyon, W. Bogensberger und H. Krämer als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 18. Oktober 2012

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. L 190, S. 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl. L 81, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenbeschluss 2002/584) in Verbindung mit den Art. 6, 48 und 52 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie den Art. 5 und 6 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens über die Vollstreckung von vier Europäischen Haftbefehlen in Rumänien, die die deutschen Behörden gegen Herrn Radu, einen rumänischen Staatsangehörigen, zur Strafverfolgung wegen Straftaten des Raubes ausgestellt haben.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 1, 5 bis 8, 10, 12 und 13 des Rahmenbeschlusses 2002/584 lauten:

„(1) Nach den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere vom 15. und 16. Oktober 1999, insbesondere in Nummer 35 dieser Schlussfolgerungen, sollten im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander die förmlichen Verfahren zur Auslieferung von Personen, die sich nach einer rechtskräftigen Verurteilung der Justiz zu entziehen suchen, abgeschafft und die Verfahren zur Auslieferung von Personen, die der Begehung einer Straftat verdächtig sind, beschleunigt werden.

(5) Aus dem der Union gesetzten Ziel, sich zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu entwickeln, ergibt sich die Abschaffung der Auslieferung zwischen Mitgliedstaaten und deren Ersetzung durch ein System der Übergabe zwischen Justizbehörden. Die Einführung eines neuen, vereinfachten Systems der Übergabe von Personen, die einer Straftat verdächtigt werden oder wegen einer Straftat verurteilt worden sind, für die Zwecke der strafrechtlichen Verfolgung oder der Vollstreckung strafrechtlicher Urteile ermöglicht zudem die Beseitigung der Komplexität und der V...

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